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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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bleifarbener Wolken. Pascal sprach fast als einziger; in seiner leidenschaftlichen Liebe für diese glühende Natur war er bemüht, seinen Neffen daran teilhaben zu lassen. Aber er mochte sich noch so bewundernd äußern, ihm zeigen, mit welcher Hartnäckigkeit die Ölbäume, die Feigenbäume und die Brombeersträucher in diesen Felsen wuchsen, ihn auf das Leben dieser Felsen selbst hinweisen, dieses kolossalen, mächtigen Gerippes der Erde, deren Atem man zu hören vermeinte: Maxime blieb ungerührt, dumpfe Angst erfaßte ihn angesichts der majestätischen Wildheit dieser Felsblöcke, deren Masse ihn niederschmetterte. Und so blickte er lieber wieder auf seine Schwester, die ihm gegenübersaß. Sie bezauberte ihn immer mehr, wie er sie so gesund und glücklich sah mit ihrem hübschen runden Kopf, mit der geraden, so gleichmäßigen Stirn. Hin und wieder trafen sich ihre Blicke, und ihr zärtliches Lächeln machte ihm Mut.
    Aber die Wildheit der Schlucht verlor sich allmählich, die beiden Felswände waren jetzt niedriger, man fuhr zwischen friedlichen Anhöhen mit sanft abfallenden, von Thymian und Lavendel übersäten Hängen dahin. Noch war es eine Einöde, grünliche und blaßviolette nackte Flächen, über die beim geringsten Windhauch ein herber Duft wehte. Dann fuhr man plötzlich, nach einer letzten Biegung, in das kleine Tal von Les Tulettes mit seinen erfrischenden Quellen hinunter. Tief unten erstreckten sich von großen Bäumen gesäumte Wiesen. Das Dorf lag auf halber Höhe zwischen Ölbäumen, und Macquarts ein wenig abseits gelegenes Landhäuschen befand sich zur Linken, in der vollen Sonne. Der Landauer mußte den Weg zur Irrenanstalt einschlagen, die man mit ihren weißen Mauern vor sich liegen sah.
    Félicité verharrte in düsterem Schweigen, denn sie liebte es nicht, den Onkel Macquart zu zeigen. Auch so einer, an dessen Todestag die Familie befreit aufatmen würde! Um ihres Ruhmes willen hätte er längst unter der Erde ruhen müssen. Doch er blieb hartnäckig am Leben, und mit seinen dreiundachtzig Jahren war er noch immer wohlauf, ein vom Trunk gesättigter alter Säufer, den der Alkohol zu konservieren schien. In Plassans genoß er den schrecklichen Ruf eines Nichtstuers und Banditen, und die alten Leute erzählten einander flüsternd die abscheuliche Geschichte von den Leichen, die zwischen ihm und den Rougons lagen: ein Verrat in den unruhigen Dezembertagen des Jahres 1851, ein hinterhältiger Überfall, bei dem er die Gefährten mit zerschossenem Leib auf dem blutigen Straßenpflaster hatte liegenlassen. Später, als er wieder nach Frankreich zurückkehrte, zog er der guten Stellung, die er sich hatte zusichern lassen, dieses kleine Landgut in Les Tulettes vor, das Félicité ihm kaufte. Und seitdem lebte er in behäbiger Ruhe und hatte nur noch den einen Ehrgeiz, sein Landgut zu vergrößern; von neuem spähte er nach günstigen Gelegenheiten aus und fand abermals das Mittel, sich ein lange begehrtes Feld schenken zu lassen, indem er sich seiner Schwägerin nützlich erwies, als diese Plassans von den Legitimisten zurückerobern mußte – noch so eine schreckliche Geschichte, die man sich zuflüsterte, von einem heimlich aus der Anstalt ausgebrochenen Irren, der durch die Nacht lief, um eilends Rache zu nehmen, und sein eigenes Haus in Brand steckte, in dem vier Menschen in den Flammen umkamen. Doch diese Dinge lagen glücklicherweise lange zurück, und Macquart war längst ein braver Bürger geworden und war nicht mehr der beunruhigende Bandit, vor dem die ganze Familie zittern mußte. Er verhielt sich sehr korrekt, bewies schlaue Diplomatie und hatte nur sein spöttisches Lachen behalten, mit dem er sich über alle Welt lustig zu machen schien.
    »Der Onkel ist zu Hause«, sagte Pascal, als sie näher kamen.
    Das Landhäuschen war ein typisch provençalisches Bauwerk, einstöckig und mit farblosen Dachziegeln gedeckt, die vier Wände kräftig gelb getüncht. Vor dem Haus erstreckte sich eine schmale Terrasse, von uralten Maulbeerbäumen überschattet, die laubenförmig zurechtgestutzt waren und ihre knorrigen dicken Äste ausstreckten. Dort rauchte der Onkel im Sommer seine Pfeife. Und als er den Wagen hörte, trat er an den Rand der Terrasse und pflanzte sich dort auf, die hohe Gestalt gerade aufgerichtet, adrett in blaues Tuch gekleidet, die ewige Pelzmütze auf dem Kopf, die er jahraus, jahrein trug.
    Als er die Besucher erkannte, grinste er und rief:
    »Oh, was für ein hoher

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