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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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abhanden gekommen waren, wie vom Wind davongeweht. Er wagte nicht einmal mehr, ihr die Korrektur seiner Entwürfe anzuvertrauen, denn wie er feststellen mußte, hatte sie aus einem Artikel einen ganzen Absatz herausgeschnitten, weil dessen Inhalt ihren katholischen Glauben verletzte. Und so blieb sie müßig, wanderte durch die Räume und hatte Zeit, auf eine Gelegenheit zu lauern, die ihr den Schlüssel zu dem großen Schrank ausliefern würde. Das mochte wohl ihr Traum sein, der Plan, den sie mit leuchtenden Augen und fiebrigen Händen während ihres langen Schweigens wälzte: den Schlüssel in die Hand bekommen, aufschließen, alles herausnehmen und alles vernichten in einem gottgefälligen Autodafe. Die wenigen Seiten eines Manuskripts, die er auf dem Tisch hatte liegenlassen, während er sich nur die Hände waschen ging und seinen Überrock anzog, waren verschwunden; nichts war zurückgeblieben als ein Häufchen Asche im Kamin. Eines Abends, als er sich bei einem Kranken verspätet hatte, packte ihn bei der Heimkehr in der Abenddämmerung schon in der Vorstadt ein wahnsinniger Schrecken beim Anblick des dichten schwarzen Rauches, der emporwirbelte und den fahlen Himmel beschmutzte. Stand da nicht die ganze Souleiade in Flammen, in Brand gesteckt durch das Freudenfeuer, das man mit seinen Papieren veranstaltete? Im Laufschritt kehrte er heim und beruhigte sich erst, als er auf einem benachbarten Feld ein Wurzelfeuer erblickte, das langsam vor sich hin qualmte.
    Und welch grauenvolles Leiden, diese Qual des Wissenschaftlers, der sich dergestalt in seinem geistigen Schaffen, in seiner Arbeit bedroht fühlt! Die Entdeckungen, die er gemacht hat, die Manuskripte, die er zu hinterlassen gedenkt, sind sein Stolz, seine Geschöpfe, sein eigen Blut, seine Kinder, und wenn man sie vernichtete, wenn man sie verbrannte, verbrannte man etwas von seinem eigenen Fleisch. Während sein Denken ständig belauert wurde, peinigte ihn vor allem der Gedanke, daß er die Feindin, die in seinem Hause wohnte, die sich sogar in seinem Herzen eingenistet hatte, nicht daraus vertreiben konnte, sondern dennoch liebte. Er blieb entwaffnet, eine Verteidigung war nicht möglich, da er nicht handeln wollte und kein anderes Mittel hatte, als unablässig auf der Hut zu sein. Von allen Seiten zog sich das Netz immer enger zusammen, er glaubte zu fühlen, wie die diebischen kleinen Hände in seine Taschen glitten, er hatte selbst bei geschlossenen Türen keine Ruhe mehr, da er fürchtete, daß man ihn durch die Ritzen bestehlen könnte.
    »Du unglückliches Kind«, rief er eines Tages, »ich liebe doch nur dich auf der Welt, und du bringst mich ins Grab! … Dabei liebst du mich auch, du tust dies alles nur, weil du mich liebst, und das ist abscheulich, es wäre besser, sogleich ein Ende zu machen und uns mit einem Stein um den Hals ins Wasser zu stürzen!«
    Sie antwortete nicht, doch ihre tapferen Augen sagten ihm mit flammenden Blicken, daß sie mit ihm gemeinsam gern auf der Stelle sterben würde.
    »Wenn ich heut nacht nun plötzlich sterben müßte, was würde morgen dann geschehen? Du würdest den Schrank ausräumen, du würdest die Schubfächer leeren, du würdest alle meine Werke zu einem großen Haufen schichten und verbrennen? Ja, nicht wahr? Weißt du, daß dies ein wirklicher Mord wäre, so als brächtest du jemanden um? Und welch abscheuliche Feigheit, das Denken zu töten!«
    »Nein«, sagte sie mit dumpfer Stimme, »ich will das Böse töten und verhindern, daß es sich ausbreitet und wiederersteht!«
    Bei all ihren Auseinandersetzungen, die mitunter schrecklich waren, gerieten sie in Zorn. Als eines Abends die alte Frau Rougon bei einem solchen Streit hereinplatzte, blieb sie mit Pascal allein, nachdem sich Clotilde in ihr Zimmer geflüchtet hatte. Es herrschte Schweigen. Trotz der tiefbetrübten Miene, die Frau Rougon zur Schau trug, leuchtete Freude auf dem Grunde ihrer funkelnden Augen.
    »Euer armes Haus ist ja eine Hölle!« rief sie schließlich aus.
    Mit einer Handbewegung wich der Doktor einer Antwort aus. Er hatte stets gefühlt, daß seine Mutter hinter dem jungen Mädchen stand, daß sie Clotilde in ihren religiösen Überzeugungen bestärkte und diesen Gärstoff der Auflehnung nutzte, um Unfrieden in seinem Hause zu stiften. Er gab sich keinen Illusionen hin, er wußte genau, daß sich die beiden Frauen im Laufe des Tages gesehen hatten und daß er dieser Begegnung, einer regelrechten wohldurchdachten Giftmischerei, den

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