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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Vernunft zu bringen.
    »Du bist ja närrisch, Kind, hör zu …«
    Aber sie hatte sich hingekniet und seine Hände ergriffen, sie klammerte sich an ihn und umschlang ihn im Fieber ihrer Erregung. Und ihr Flehen wurde lauter, sie schrie so voller Verzweiflung, daß das dunkle Land in der Ferne schluchzend davon widerhallte.
    »So hör doch, er hat es in der Kirche gesagt … Man muß sein Leben ändern und Buße tun, man muß all seine früheren Irrtümer verbrennen, ja, deine Bücher, deine Akten, deine Manuskripte … Bring dieses Opfer, Meister, ich bitte dich auf Knien darum. Und du wirst sehen, was für ein köstliches Leben wir dann zusammen führen werden.«
    Jetzt empörte er sich.
    »Nein, das ist zuviel! Schweig!«
    »Und doch wirst du mich anhören, Meister, du wirst tun, was ich will … Glaube mir, ich bin entsetzlich unglücklich, obwohl ich dich so über alles liebe. Es fehlt etwas in unserer Liebe. Sie war unnütz und leer bis heute, und ich habe das unwiderstehliche Verlangen, sie auszufüllen mit allem, was es Göttliches und Ewiges gibt … Was kann uns fehlen, wenn nicht Gott? Knie nieder und bete mit mir!«
    Er machte sich zornig los.
    »Schweig jetzt, du redest dummes Zeug. Ich habe dir deine Freiheit gelassen, laß du mir nun auch meine Freiheit.«
    »Meister, Meister! Ich will doch nur unser Glück! Ich will dich mitnehmen, weit, weit fort. Wir wollen in die Einsamkeit gehen, um dort in Gott zu leben!«
    »Schweig! Nein, niemals!«
    Auge in Auge verharrten sie einen Augenblick, stumm und drohend. Die Souleiade um sie her breitete ihr nächtliches Schweigen aus, die leichten Schatten ihrer Ölbäume, das Dunkel ihrer Pinien und Platanen, in dem die traurige Stimme der Quelle sang; und der weite, sternenbesäte Himmel über ihnen schien in einem Schauer erbleicht, obgleich die Morgendämmerung noch ferne war.
    Clotilde hob den Arm, wie um auf die Unendlichkeit dieses erschauernden Himmels zu weisen. Doch mit einer raschen Bewegung hatte Pascal ihre Hand wieder ergriffen und hielt sie in der seinen, zur Erde gerichtet. Und sie sprachen jetzt kein Wort mehr, sie bebten innerlich in wilder Feindseligkeit. Das grausame Zerwürfnis war da.
    Jäh zog sie ihre Hand zurück und sprang zur Seite wie ein unzähmbares stolzes Tier, das sich aufbäumt; dann lief sie durch die Nacht dem Hause zu. Auf den Steinen der Tenne hörte man das Klappern ihrer kleinen Stiefel, das auf dem Sand des Weges dann verhallte. Pascal war sogleich tief bekümmert und rief sie mit eindringlicher Stimme zurück. Doch sie hörte nicht, antwortete nicht, lief nur immer weiter. Furcht packte ihn, mit beklommenem Herzen eilte er ihr nach und sah sie gerade noch ins Haus stürmen, als er um die Ecke der Platanengruppe bog. Er stürzte hinter ihr her, sprang die Treppe hinauf und prallte gegen die Tür ihres Zimmers, die sie rasch verriegelt hatte. Und hier beruhigte er sich, hielt mit einer heftigen Anstrengung inne, widerstand dem Verlangen, zu schreien, sie noch einmal zu rufen, die Tür einzuschlagen, um sie noch einmal zu sehen, um sie zu überzeugen und ganz für sich zu behalten. Regungslos stand er so eine Weile vor der Stille dieses Zimmers, aus dem kein Hauch nach außen drang. Sicherlich hatte sie sich quer aufs Bett geworfen und erstickte ihre Schreie und ihr Schluchzen in den Kissen. Dann ging er endlich hinunter, um die Tür zum Hausflur zu schließen, kam leise wieder herauf und lauschte, ob er sie nicht klagen hörte; und es brach schon der Tag an, als er, verzweifelt und mit den Tränen kämpfend, zu Bett ging.
    Von nun an tobte ein unbarmherziger Krieg. Pascal fühlte sich belauert, gehetzt, bedroht. Er hatte im eigenen Haus kein Zuhause mehr: die Feindin lag unaufhörlich auf der Lauer, so daß er alles zu befürchten hatte und alles einschließen mußte. Kurz hintereinander fand er zwei Phiolen mit seiner Nervensubstanz in Scherben am Boden; er mußte sich in seinem Zimmer verbarrikadieren; dort hörte man ihn nur leise mit dem Stößel hantieren, und nicht einmal zu den Mahlzeiten ließ er sich sehen. An den Besuchstagen nahm er Clotilde nicht mehr mit, weil sie durch ihre herausfordernd ungläubige Haltung die Kranken entmutigte. Allein sobald er gegangen war, zog es ihn schon wieder nach Hause, denn er zitterte, bei seiner Rückkehr die Schlösser erbrochen und die Schubfächer geplündert vorzufinden. Er ließ sich von dem jungen Mädchen nicht mehr seine Notizen einordnen und abschreiben, seitdem mehrere

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