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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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gedauert, das Vermögen zu erwerben! Wir haben uns unser bißchen Glück sauer genug verdient. Da du alles gesehen hast und alles in deine Papiere einträgst, wirst du bezeugen können, daß die Familie den anderen mehr Dienste erwiesen hat als umgekehrt. Zweimal hätte Plassans schön in der Patsche gesessen, wenn wir nicht gewesen wären. Aber natürlich haben wir nur Undank und Neid geerntet, und heute noch wäre die ganze Stadt über einen Skandal entzückt, bei dem wir durch den Schmutz gezogen würden … Das kannst du doch nicht wollen, und ich bin sicher, daß du meiner würdigen Haltung seit dem Sturz des Kaiserreichs und seit den Unglücksfällen, von denen Frankreich sich zweifellos niemals wieder erholen wird, Gerechtigkeit widerfahren läßt.«
    »Laßt doch Frankreich aus dem Spiel, Mutter!« begann er von neuem, denn sie hatte, wie sie wohl wußte, einen seiner empfindlichsten Punkte getroffen. »Frankreich hat ein zähes Leben, und ich finde, es ist im Begriff, die Welt durch die Schnelligkeit seiner Genesung in Erstaunen zu setzen … Gewiß, es gibt viele verdorbene Elemente. Ich habe das nicht verheimlicht, ich habe es vielleicht allzu deutlich enthüllt. Aber Ihr versteht mich schlecht, wenn Ihr Euch einbildet, ich glaubte an den endgültigen Zusammenbruch, weil ich die Wunden und die Risse zeige. Ich glaube an das Leben, das unaufhörlich die schädlichen Körper ausscheidet und neue hervorbringt, um die Wunden zu schließen; ich glaube an das Leben, das trotz allem auf die Gesundheit, auf die fortwährende Erneuerung zuschreitet, inmitten von Schmutz und Tod.«
    Er geriet in Erregung, das merkte er, machte eine zornige Gebärde und sprach nicht weiter. Seine Mutter hatte angefangen zu weinen, kleine, mühsam hervorgepreßte Tränen, die sogleich trockneten. Und sie kam wieder auf die Befürchtungen zu sprechen, die ihr Alter mit Betrübnis erfüllten; auch sie bat ihn flehentlich, seinen Frieden mit Gott zu machen, wenigstens aus Rücksicht auf die Familie. Gab nicht sie selber ein Beispiel des Mutes? Würdigte nicht ganz Plassans, das SaintMarcViertel, das alte Viertel und die Neustadt, ihre stolze Resignation? Sie wollte nur, daß man ihr half, sie verlangte von all ihren Kindern eine Anstrengung, die der ihren gleichkam. Und sie nannte Eugène als Beispiel, den großen Mann, der von solcher Höhe herabgestürzt war und nur noch ein kleiner Deputierter sein wollte, der bis zu seinem letzten Atemzug das vergangene Regime verteidigen würde, dem er seinen Ruhm verdankte. Sie war auch voll des Lobes für Aristide, der niemals die Hoffnung aufgab, der sich unter dem neuen Regime wieder eine schöne Position eroberte, trotz der ungerechten Katastrophe, die ihn einen Augenblick unter den Trümmern der Union Universelle begraben hatte. Und er, Pascal, wollte allein abseits stehen, wollte nichts tun, damit sie in Frieden sterben könnte, voller Freude über den endgültigen Triumph der Rougons? Er, der so klug war, so zartfühlend, so gut! Nein, das war unmöglich! Er würde am kommenden Sonntag zur Messe gehen und diese gräßlichen Papiere verbrennen, die sie schon krank machten, wenn sie nur daran dachte. Sie flehte, befahl, drohte. Doch er antwortete nicht mehr, ruhig, unerschütterlich in seiner tief ehrerbietigen Haltung. Er wollte keine Auseinandersetzung, er kannte seine Mutter allzu gut, als daß er hoffen durfte, sie überzeugen zu können, und gewagt hätte, mit ihr über die Vergangenheit zu sprechen.
    »Da siehst du˜s!« rief sie, als sie fühlte, daß er unbeugsam blieb. »Du gehörst nicht zu uns, ich habe es immer gesagt. Du entehrst uns.«
    Er verbeugte sich.
    »Mutter, Ihr werdet darüber nachdenken und mir verzeihen.«
    An diesem Tage war Félicité außer sich, als sie ging; und wie sie an der Haustür unter den Platanen Martine begegnete, machte sie ihrem Herzen Luft, ohne zu wissen, daß Pascal, der in sein Zimmer gegangen war, dessen Fenster offenstanden, alles mit anhörte. Sie äußerte lebhaft ihren Groll und schwor, daß es ihr trotzdem gelingen werde, sich der Papiere zu bemächtigen und sie zu vernichten, wenn er sie nicht freiwillig opfern wollte. Aber was den Doktor erstarren ließ, das war die Art, wie Martine sie mit verhaltener Stimme besänftigte. Sie war offensichtlich eine Mitverschworene, sie wiederholte, daß man warten müsse, nichts überstürzen dürfe, daß das Fräulein und sie geschworen hätten, mit dem Doktor fertig zu werden, indem sie ihm keine ruhige

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