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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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entsetzlichen Auftritt verdankte, der ihn immer noch zittern ließ. Ohne Zweifel war seine Mutter gekommen, um die Verheerungen in Augenschein zu nehmen und zu sehen, ob man nicht bald der Lösung nahe sei.
    »Das kann so nicht weitergehen«, sagte sie. »Warum trennt ihr euch nicht, wenn ihr euch nicht mehr versteht? Du solltest sie zu ihrem Bruder Maxime schicken, der mir dieser Tage geschrieben hat und Clotilde noch einmal bittet zu kommen.«
    Er hatte sich aufgerichtet, bleich und entschlossen.
    »Zerstritten auseinandergehen? Nein, das würde uns auf ewig reuen und wäre eine unheilbare Wunde. Wenn sie eines Tages gehen muß, dann wollen wir uns auch aus der Ferne liebhaben können … Aber warum soll sie gehen? Wir beklagen uns doch beide nicht.«
    Félicité fühlte, daß sie allzu voreilig gewesen war.
    »Gewiß, wenn ihr Spaß daran habt, euch zu schlagen, so geht das niemand etwas an … Nur muß ich dir dann sagen, armer Freund, daß ich Clotilde ein wenig recht gebe. Du zwingst mich zu dem Geständnis, daß ich sie vorhin gesehen habe – ja, es ist besser, du weißt es, obwohl ich versprochen habe zu schweigen. Clotilde ist nicht glücklich, sie beklagt sich sehr, und du kannst dir sicher denken, daß ich sie gescholten, daß ich ihr völligen Gehorsam gepredigt habe … Trotzdem kann ich dich nur schwer begreifen und finde, daß du alles tust, um unglücklich zu sein.«
    Sie hatte sich gesetzt, hatte ihn genötigt, ebenfalls in einer Ecke des großen Arbeitszimmers Platz zu nehmen, und schien entzückt, ihn hier für sich allein zu haben, ihr preisgegeben. Mehrere Male schon hatte sie ihn auf diese Weise zu einer Auseinandersetzung zwingen wollen, der er aus dem Wege ging. Obgleich sie ihn seit Jahren quälte und er alles über sie wußte, blieb er ein ehrerbietiger Sohn, und er hatte sich geschworen, niemals aus dieser hartnäckig respektvollen Haltung herauszugehen. Daher flüchtete er sich, sowie sie gewisse Themen berührte, in vollkommenes Schweigen.
    »Nun gut«, fuhr sie fort, »ich begreife ja, daß du Clotilde nicht nachgeben willst, aber mir? Wenn ich dich inständig bitte, mir diese abscheulichen Akten aus dem Schrank dort zu opfern? Nimm einmal an, du würdest plötzlich sterben und diese Papiere gerieten in fremde Hände: dann wären wir alle entehrt … Das kannst du doch nicht wollen, oder? Also was ist deine Absicht, warum versteifst du dich auf ein so gefährliches Spiel? Versprich mir, sie zu verbrennen.«
    Er schwieg und antwortete dann schließlich:
    »Mutter, ich habe Euch doch schon oft gebeten, daß wir darüber niemals sprechen … Ich kann Euern Wunsch nicht erfüllen.«
    »Aber so nenne mir doch wenigstens einen Grund!« rief sie. »Man könnte meinen, daß unsere Familie dir ebenso gleichgültig ist wie die Rinderherde, die dort unten vorüberzieht. Du gehörst doch auch dazu … Oh, ich weiß, du tust alles, um nicht dazuzugehören. Ich selber wundere mich manchmal, ich frage mich, wo du wohl herkommen magst. Und ich finde es trotzdem sehr häßlich von dir, daß du dich dazu hergibst, uns zu beschmutzen, ohne daß dich der Gedanke an den Kummer zurückhält, den du mir, deiner Mutter, bereitest … Das ist einfach eine Niederträchtigkeit.«
    Er empörte sich, er gab einen Augenblick dem Bedürfnis nach, sich zu verteidigen, obgleich er sich vorgenommen hatte zu schweigen.
    »Ihr seid hart, Ihr habt unrecht … Ich habe stets an die Notwendigkeit, an die unbedingte Wirksamkeit der Wahrheit geglaubt. Es stimmt, ich sage alles über die anderen und über mich; und zwar weil ich fest glaube, daß ich, indem ich alles sage, das einzig mögliche Gute tue … Zunächst einmal sind diese Akten nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sie stellen nur persönliche Aufzeichnungen dar, und es wäre schmerzlich für mich, wenn ich mich davon trennen müßte. Außerdem weiß ich recht gut, daß es nicht nur diese Akten sind, die Ihr verbrennen würdet: alle meine anderen Arbeiten würden ebenfalls ins Feuer geworfen, nicht wahr? Und das will ich nicht, versteht Ihr! Niemals, solange ich lebe, wird man hier eine geschriebene Zeile vernichten.«
    Aber schon bedauerte er, soviel gesagt zu haben, denn er sah, wie sie näher an ihn heranrückte, ihn bedrängte, ihn zu der grausamen Auseinandersetzung trieb.
    »Nun also, mach nur so weiter, sag mir, was du uns vorwirfst … Ja, mir zum Beispiel, was wirfst du mir vor? Doch nicht, daß ich euch mit soviel Mühe erzogen habe? Oh, es hat lange

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