Doktor Pascal - 20
bewußt, was da geschah; eine instinktive Eifersucht quälte sie, denn sie vergötterte diesen Herrn, für den sie so viele Jahre lang nichts als ein Gegenstand geblieben war.
»Ganz bestimmt brauchen wir das Fräulein nicht. Es genügt vollkommen, wenn ich für den Herrn Doktor da bin.«
Nun sprach sie, die sonst so Zurückhaltende, von ihrer Gartenarbeit, sagte, daß sie noch Zeit finde, das Gemüse in Ordnung zu halten, damit man hin und wieder den Tagelohn für einen Mann einspare. Gewiß, das Haus sei groß; aber wenn man die Arbeit nicht scheue, könne man schon damit fertig werden. Außerdem wäre ja doch, wenn das Fräulein wegginge, eine Person weniger zu bedienen. Und ohne daß sie es wußte, leuchteten ihre Augen bei dem Gedanken an die große Einsamkeit, an den glücklichen Frieden, in dem sie nach Clotildes Fortgang leben würden.
Sie senkte die Stimme.
»Es wird mir Kummer machen, zu sehen, wie sehr der Herr Doktor darunter leidet. Nie hätte ich geglaubt, daß ich eine solche Trennung einmal herbeiwünschen könnte … Nur denke ich wie Sie, Madame, daß es sein muß, denn ich habe große Angst, daß das Fräulein hier am Ende noch verdorben wird und wieder eine Seele für den lieben Gott verlorengeht … Ach, es ist traurig, mir ist das Herz oft so schwer, daß es schier zerspringen möchte!«
»Sie sind beide dort oben, nicht wahr?« fragte Félicité. »Ich werde jetzt mal zu ihnen hinaufgehen, und ich werde es schon schaffen, daß sie sich endlich entscheiden.«
Als sie eine Stunde später wieder herunterkam, rutschte Martine noch immer auf den Knien auf der weichen Erde herum und war gerade dabei, ihre Pflanzarbeit zu beenden.
Félicité, die oben erzählt hatte, daß sie mit Doktor Ramond gesprochen habe und daß dieser ungeduldig sei, sein Schicksal zu erfahren, hatte gleich bei den ersten Worten gemerkt, daß Pascal ihr zustimmte: er war ernst, er nickte, als wollte er sagen, daß ihm diese Ungeduld nur natürlich vorkomme. Clotilde ihrerseits hatte aufgehört zu lächeln und ehrerbietig zugehört. Aber sie gab sich einigermaßen überrascht. Warum drängte man sie? Der Meister hatte die Heirat auf die zweite Juniwoche festgesetzt, sie hatte also noch zwei lange Monate vor sich. Mit Ramond werde sie sehr bald darüber sprechen. Die Heirat sei etwas so Ernstes, daß man ihr wohl freie Hand lassen könne, zu überlegen und erst in letzter Minute ihre Zusage zu geben. Das alles sagte sie in ihrer besonnenen Art wie jemand, der gewillt ist, einen Entschluß zu fassen. Und Félicité hatte sich damit zufriedengeben müssen, daß die beiden offensichtlich die vernünftigste Lösung zu finden wünschten.
»Wahrhaftig, ich glaube, es ist geschafft«, schloß sie. »Er scheint der Heirat nichts in den Weg zu legen, und sie will anscheinend nur nicht übereilt handeln, sondern wie ein Mädchen, das sich selbst erst gründlich prüft, bevor es sich fürs Leben bindet … Ich werde ihr noch acht Tage zum Überlegen lassen.«
Martine, die auf ihren Fersen hockte, blickte starr auf die Erde, und ihr Gesicht verdüsterte sich.
»Ja, ja«, murmelte sie mit leiser Stimme, »das Fräulein denkt seit einiger Zeit sehr viel nach … Ich treffe sie überall. Spricht man sie an, so antwortet sie nicht. Das ist so wie bei den Leuten, die eine Krankheit ausbrüten und in sich hineingucken … Es geht so manches vor, sie ist nicht mehr dieselbe, nicht mehr dieselbe …«
Und sie griff wieder nach dem Pflanzholz und grub in ihrem Arbeitseifer eine Lauchpflanze ein, während die alte Frau Rougon ein wenig beruhigt fortging, in der Gewißheit, daß die Heirat stattfinden werde.
In der Tat schien Pascal Clotildes Heirat als eine beschlossene, unvermeidliche Sache hinzunehmen. Er hatte nicht wieder mit ihr darüber gesprochen, und wenn sie doch einmal darauf zu sprechen kamen, blieben beide ganz ruhig; es war nur, als sollten die zwei Monate, die sie noch miteinander verbringen durften, niemals ein Ende nehmen, als wären sie eine Ewigkeit, deren Ende sie beide nicht erleben würden. Sie vor allem schaute ihn lächelnd an, verschob die Sorgen, die Entscheidungen auf später mit einer reizenden unbestimmten Gebärde, die alles dem wohltätigen Leben anheimstellte. Pascal, der nun genesen war und dessen Kräfte täglich zunahmen, wurde nur traurig, wenn Clotilde abends zu Bett gegangen war und er in die Einsamkeit seines Zimmers zurückkehrte. Er fror, ein Schauer überlief ihn bei dem Gedanken, daß eine Zeit
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