Doktor Pascal - 20
sein mußte, sie gar zu ihrem Bruder schicken als dessen Krankenpflegerin – lieber wollte er sie verlieren als sie einem Gatten überlassen. Und bei jeder dieser Lösungen fühlte er, wie sein Herz blutete und vor Angst aufschrie in dem unwiderstehlichen Verlangen, sie ganz zu besitzen. Er gab sich nicht mehr mit ihrer Gegenwart zufrieden, sie sollte ihm gehören, so, wie sie aus der Dunkelheit des Zimmers in ihrer reinen Nacktheit strahlend hervortrat, nur von der entfesselten Flut ihrer Haare umhüllt. Seine Arme umschlangen die Leere, er sprang aus dem Bett, schwankend wie ein Betrunkener; und erst in der großen dunklen Ruhe des Arbeitszimmers, mit bloßen Füßen auf dem Parkett stehend, erwachte er aus diesem plötzlichen Wahn. Wohin ging er denn, großer Gott? Würde er an die Tür dieses schlummernden Kindes klopfen? Sie vielleicht gewaltsam öffnen? Der leise, reine Hauch, den er in der tiefen Stille wahrzunehmen glaubte, traf ihn ins Gesicht, stieß ihn zurück wie ein heiliger Sturm. Und er kehrte um und stürzte auf sein Bett nieder in einem Anfall von Scham und furchtbarer Verzweiflung.
Als Pascal am nächsten Morgen aufstand, von Schlaflosigkeit wie zerschlagen, hatte er einen Entschluß gefaßt. Er duschte sich wie jeden Tag und fühlte sich danach stärker und gesünder. Er wollte Clotilde zwingen, ihr Jawort zu geben. Wenn sie dann in aller Form zugestimmt hätte, Ramond zu heiraten, würde diese unwiderrufliche Lösung ihm Erleichterung verschaffen, ihm jede wahnwitzige Hoffnung untersagen. Es gäbe ein unüberwindliches Hindernis mehr zwischen ihr und ihm. Er wäre fortan gegen sein Verlangen gewappnet, und wenn er noch immer leiden mußte, so wäre es doch nur das Leiden an sich, ohne die schreckliche Furcht, ein unehrenhafter Mann zu werden und sich eines Nachts wieder zu erheben, um Clotilde vor dem anderen zu besitzen.
An diesem Morgen, als er dem jungen Mädchen erklärte, daß sie nicht länger zögern könne, daß sie dem wackeren Ramond, der seit so langer Zeit darauf wartete, eine endgültige Antwort schuldig sei, schien sie zunächst erstaunt. Sie blickte ihm voll in die Augen, und er hatte die Kraft, nicht in Verwirrung zu geraten; er bestand nur mit ein wenig trauriger Miene darauf, als wäre er betrübt, ihr diese Dinge sagen zu müssen. Schließlich lächelte sie schwach und wandte den Kopf ab.
»Dann willst du also, Meister, daß ich dich verlasse?«
Er antwortete nicht direkt.
»Glaub mir, liebes Kind, es wird sonst lächerlich, Ramond könnte mit Recht böse sein.«
Sie war an ihr Pult getreten und ordnete einige Papiere. Nach einem Schweigen sagte sie dann:
»Es ist komisch, jetzt stehst du auf einmal auf der Seite von Großmutter und Martine. Sie setzen mir zu, ich soll mich endlich entscheiden … Ich glaubte, ich hätte noch ein paar Tage Zeit. Aber wahrhaftig, wenn ihr alle drei mich drängt …«
Sie beendete den Satz nicht, und er zwang sie nicht, sich deutlicher zu erklären.
»Also«, fragte er, »wann soll Ramond denn kommen?«
»Er kann kommen, wann er will, seine Besuche haben mich nie gestört … Sei unbesorgt, ich lasse ihm sagen, daß wir ihn an einem dieser Nachmittage erwarten.«
Am übernächsten Tag begann die Szene von neuem. Clotilde hatte nichts unternommen, und Pascal wurde diesmal heftig. Er litt allzusehr, er hatte Anfälle von Verzweiflung, wenn sie nicht mehr da war, um ihn durch ihre lächelnde Frische zu beruhigen. Und er verlangte mit strengen Worten, daß sie sich wie ein vernünftiges Mädchen betragen und sich nicht länger über einen achtbaren Mann, der sie liebte, lustig machen solle.
»Zum Teufel! Da die Sache nun einmal erledigt werden muß, wollen wir doch damit zum Ende kommen! Damit du es weißt, ich schicke Ramond ein paar Zeilen, und er soll morgen um drei Uhr hier sein.«
Sie hatte ihm mit gesenktem Blick stumm zugehört. Keiner von beiden schien die Frage erörtern zu wollen, ob die Heirat fest beschlossen sei; beide gingen von dem Gedanken aus, daß die Entscheidung darüber schon früher gefallen war. Als er sah, daß sie aufblickte, zitterte er; denn er hatte gespürt, wie ein Hauch vorüberwehte, und glaubte, sie würde ihm gleich sagen, daß sie sich geprüft habe und diese Heirat ablehne. Was wäre aus ihr geworden, was hätte er getan, mein Gott! Schon erfüllte ihn unendliche Freude und zugleich wahnsinniges Entsetzen. Aber sie sah ihn an mit jenem verhaltenen und gerührten Lächeln, das nicht mehr von ihren
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