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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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mir wirklich selber nicht im klaren war … Sie können sich nicht vorstellen, welche Krise ich erlebt habe, einen wahrhaften Sturm in tiefem Dunkel, in dem ich mich erst jetzt langsam wieder zurechtfinde.«
    Ramond sagte schließlich:
    »Da Sie es so wünschen, will ich nicht fragen … Es genügt übrigens, wenn Sie mir eine einzige Frage beantworten. Sie lieben mich nicht, Clotilde?«
    Sie zögerte keinen Augenblick. Ernst und mit tiefer Sympathie, die die Offenheit ihrer Antwort milderte, sagte sie:
    »Es ist wahr, ich liebe Sie nicht, ich hege für Sie nur eine ganz aufrichtige Zuneigung.«
    Er hatte sich wieder erhoben; mit einer Handbewegung wehrte er die guten Worte ab, nach denen sie noch suchte.
    »Es ist vorbei, wir wollen nie mehr davon sprechen. Ich wollte Sie glücklich sehen. Sorgen Sie sich nicht um mich. In diesem Augenblick ist mir zumute wie jemand, dem das Haus über dem Kopf zusammenstürzt. Aber ich muß wohl damit fertig werden.«
    Eine Blutwelle überflutete sein bleiches Gesicht, er rang nach Atem, ging ans Fenster und kam mit schleppenden Schritten zurück, bemüht, sein inneres Gleichgewicht wiederzugewinnen. Er atmete tief. In dem peinlichen Schweigen hörte man jetzt Pascal zurückkommen; um sich anzukündigen, stieg er geräuschvoll die Treppe herauf.
    »Ich bitte Sie«, flüsterte Clotilde hastig, »wir wollen dem Meister nichts sagen. Er kennt meine Entscheidung nicht, ich will sie ihm selber schonend beibringen, denn es lag ihm viel an dieser Heirat.«
    Pascal blieb auf der Schwelle stehen. Er wankte und war außer Atem, als wäre er die Treppe zu rasch hinaufgestiegen. Er hatte die Kraft, ihnen zuzulächeln.
    »Nun, meine Kinder, habt ihr euch geeinigt?«
    »Ja gewiß«, erwiderte Ramond, der ebenso zitterte wie Pascal.
    »Es ist also alles geklärt?«
    »Vollkommen«, sagte nun Clotilde, von einer Schwächeanwandlung befallen.
    Und Pascal tastete sich an den Möbeln entlang und sank an seinem Arbeitstisch in seinen Sessel.
    »Ach ja! Ihr seht, mit meinen Beinen ist noch immer nichts los. Man ist eben ein altes Gerippe … Macht nichts, ich bin sehr glücklich, sehr glücklich, meine Kinder! Euer Glück wird mich wieder gesund machen.«
    Dann, nachdem sie sich noch einige Minuten unterhalten hatten und Ramond gegangen war, schien er erneut von Unruhe ergriffen, als er mit dem jungen Mädchen wieder allein war.
    »Seid ihr nun wirklich zu einem Ende gekommen, schwörst du es mir?«
    »Ja gewiß, Meister.«
    Von da an sprach er nicht mehr, nickte nur mit dem Kopf, als wollte er noch einmal zum Ausdruck bringen, daß er sich freue, daß alles vortrefflich sei, daß sie endlich alle wieder in Ruhe leben könnten. Seine Augen hatten sich geschlossen; er tat, als schliefe er ein. Aber sein Herz schlug zum Zerspringen, mit beharrlich geschlossenen Lidern hielt er die Tränen zurück.
    Als Clotilde an jenem Abend gegen zehn Uhr hinunterging, um Martine einen Auftrag zu geben, nutzte Pascal die Gelegenheit, um den kleinen Karton mit dem Spitzenmieder auf das Bett des jungen Mädchens zu legen. Clotilde kam wieder herauf und wünschte ihm wie gewöhnlich eine gute Nacht; Pascal ging in sein Zimmer. Zwanzig Minuten später, als er schon seine Jacke ausgezogen hatte, drang ein fröhliches Zwitschern an seine Tür. Eine kleine Faust klopfte an, und eine helle Stimme rief lachend:
    »Komm doch nur, komm doch und sieh!«
    Mitgerissen von der Freude, konnte er diesem Ruf der Jugend nicht widerstehen und öffnete.
    »Oh, komm doch nur, komm doch und sieh, was mir ein schöner Märchenvogel auf mein Bett gelegt hat!«
    Und sie führte ihn in ihr Zimmer, ohne daß er Widerstand zu leisten vermochte. Sie hatte dort die beiden Leuchter angezündet: das ganze lächelnde alte Zimmer mit seiner Wandbespannung von zartem, ausgeblichenem Rosa schien in eine Kapelle verwandelt; und auf dem Bett hatte sie, gleich einem heiligen Gewand, das den Gläubigen zur Anbetung dargeboten wird, das Mieder aus alter Alençonner Spitze ausgebreitet.
    »Nein, du kannst es dir nicht vorstellen! Denk dir nur, zuerst habe ich den Karton gar nicht gesehen. Ich habe wie jeden Abend Toilette gemacht und mich ausgezogen, und erst als ich in mein Bett steigen wollte, habe ich dein Geschenk bemerkt … Ach, was für eine Überraschung! Mein Herz hat vor Freude einen Sprung getan! Ich habe gleich gefühlt, daß ich nicht bis zum nächsten Morgen warten könnte, da habe ich mir einen Unterrock angezogen und bin zu dir gelaufen

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