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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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…«
    Nun erst bemerkte er, daß sie halb nackt war wie an jenem Gewitterabend, als er sie dabei überraschte, wie sie die Akten stehlen wollte. Und ihr zierlich gestreckter jungfräulicher Körper mit den schlanken Beinen, den biegsamen Armen, dem schmalen Rumpf mit der kleinen festen Brust bot einen göttlichen Anblick.
    Sie hatte seine Hände ergriffen und umfing sie mit ihren zärtlichen kleinen Händen.
    »Wie gut bist du, und wie danke ich dir! Ein solches Wunderwerk, ein so schönes Geschenk für mich, die ich doch nichts bin! Und du hast dich daran erinnert: ich habe es bewundert, dieses alte Kunstwerk, ich habe dir gesagt, allein die Marienfigur von Saint Saturnin wäre würdig, es um die Schultern zu tragen … Ich freue mich, oh, ich freue mich! Denn wirklich, ich bin eitel, siehst du, und in meiner Eitelkeit möchte ich manchmal verrückte Dinge haben: aus Strahlen gewebte Gewänder, hauchzarte Schleier aus dem Blau des Himmels … Wie schön werde ich sein! Wie schön werde ich sein!«
    Strahlend in ihrer überschwenglichen Dankbarkeit schmiegte sie sich an ihn, während sie noch immer das Mieder betrachtete und ihn zwang, es mit ihr zu bewundern. Dann überkam sie eine plötzliche Neugier.
    »Aber sag doch, aus welchem Grund hast du mir dieses königliche Geschenk gemacht?«
    Seit sie zu ihm geeilt war und ihn in einem solchen Ausbruch von Fröhlichkeit geholt hatte, ging Pascal wie in einem Traum daher. Er war zu Tränen gerührt über diese zärtliche Dankbarkeit; er blieb in ihrem Zimmer, ohne daß ihn dort, wie er befürchtet hatte, Angst überkam; er war beruhigt, verzaubert wie beim Nahen eines großen, wunderbaren Glücks. Dieses Zimmer, das er sonst nie betrat, atmete den sanften Frieden der heiligen Stätten, die das unerfüllte Verlangen nach dem Unmöglichen stillen.
    Doch sein Gesicht drückte Verwunderung aus. Und er erwiderte:
    »Dies Geschenk, liebes Kind, ist doch für dein Hochzeitskleid gedacht.«
    Nun war sie es, die einen Augenblick erstaunt war und nicht zu begreifen schien. Dann umspielte wieder das sanfte, eigenartige Lächeln ihre Lippen, das sie seit einigen Tagen zeigte, und sie sagte heiter:
    »Ach richtig! Meine Hochzeit!«
    Sie wurde wieder ernst und sagte:
    »Du willst mich also loswerden! Weil du mich hier nicht mehr haben willst, lag dir soviel daran, mich zu verheiraten … Glaubst du denn immer noch, daß ich deine Feindin bin?«
    Er fühlte, wie die Qual wiederkehrte; er sah Clotilde nicht mehr an, da er standhaft sein wollte.
    »Gewiß doch, bist du denn nicht meine Feindin? Wir haben in den letzten Monaten einer durch den anderen soviel gelitten! Es ist besser, daß wir uns trennen … Und außerdem weiß ich nicht, was du denkst – du hast mir nie die Antwort gegeben, auf die ich wartete.«
    Vergebens suchte sie seinen Blick. Sie begann von jener schrecklichen Nacht zu sprechen, als sie zusammen die Akten durchgegangen waren. Es war richtig, in ihrer völligen Erschütterung hatte sie ihm noch nicht gesagt, ob sie für oder gegen ihn war. Er hatte recht, eine Antwort zu fordern.
    Sie nahm wieder seine Hände und zwang ihn, sie anzusehen.
    »Schickst du mich fort, weil ich deine Feindin bin? So hör doch! Ich bin nicht deine Feindin, ich bin deine Dienerin, dein Werk und dein Besitz … Verstehst du? Ich bin mit dir und für dich, für dich allein!«
    Er strahlte, eine unendliche Freude leuchtete in seinen Augen auf.
    »Ich werde es tragen, dieses Spitzenmieder, ja! Es wird mir dienen in meiner Hochzeitsnacht, denn ich möchte schön sein, sehr schön, für dich … Warum willst du nicht verstehen! Du bist mein Meister, dich allein liebe ich …«
    Mit einer Gebärde der Bestürzung versuchte er vergeblich, ihr den Mund zu verschließen. Mit einem Aufschrei vollendete sie den Satz.
    »Und dich will ich haben!«
    »Nein, nein! Schweig, du machst mich wahnsinnig! Du bist mit einem anderen verlobt, du hast dein Wort gegeben, dieser ganze Wahnsinn ist glücklicherweise unmöglich.«
    »Der andere! Ich habe ihn mit dir verglichen, und ich habe dich erwählt … Ich habe ihn abgewiesen, er ist gegangen und wird nie mehr wiederkommen … Es gibt nur uns beide, und ich liebe dich, und du liebst mich, ich weiß es wohl, und ich schenke mich dir.«
    Ein Schauer ließ ihn erbeben, er kämpfte schon nicht mehr, fortgerissen von dem ewigen Verlangen, in ihr die ganze Zartheit und den ganzen Duft des Weibes in seiner Blüte zu umschlingen und einzuatmen.
    »So nimm mich doch,

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