Doktor Pascal - 20
Boas malen, ich werde sie alle malen, die Propheten, die Hirten und die Könige, denen demütige Mädchen, Verwandte und Dienerinnen, ihre Jugend geschenkt haben. Alle sind schön und glücklich, du siehst es ja.«
Da hörten sie auf zu lachen, über die alte Bibel gebeugt, deren Seiten Clotilde mit ihren schlanken Fingern umblätterte. Pascal stand hinter ihr, und sein weißer Bart wallte auf das blonde Haar des Mädchens herab. Er fühlte sie ganz nahe und atmete voll ihren Duft. Er hatte seine Lippen auf ihren zarten Nacken gedrückt, er küßte die blühende Jugend, während die naiven Holzschnitte an ihnen vorüberzogen, jene biblische Welt, die aus den vergilbten Seiten aufstieg, jener freie Drang eines starken, lebenskräftigen Geschlechts, dessen Werk die Welt erobern sollte, jene Männer mit der nie erlöschenden Manneskraft, jene allzeit fruchtbaren Frauen, jene beharrliche und üppige Fortpflanzung des Geschlechts durch Verbrechen, Blutschande, Liebesbeziehungen ohne Rücksicht auf Alter und Vernunft. Und Pascal war übermannt von Rührung, von grenzenloser Dankbarkeit, denn sein Traum wurde Wirklichkeit, seine Pilgerin der Liebe, seine Abisag war in sein sich dem Ende zu neigendes Leben getreten, um es zu verjüngen und mit balsamischem Duft zu erfüllen.
Dann neigte er sich zu ihrem Ohr und fragte sie, ohne sie loszulassen, ganz leise in einem Atemzug:
»Ach, deine Jugend, deine Jugend, nach der mich hungert und die mich erhält … Aber du, die du so jung bist, hungert dich nicht nach Jugend, daß du mich genommen hast, mich, der ich so alt bin, so alt wie die Welt?«
Sie fuhr erstaunt auf, wandte den Kopf und schaute ihn an.
»Du alt? O nein! Du bist jung, jünger als ich!«
Und sie lachte mit so blitzenden Zähnen, daß er ebenfalls lachen mußte. Doch er beharrte mit leicht zitternder Stimme:
»Du antwortest mir nicht … Du, die du so jung bist, hast du nicht diesen Hunger nach Jugend?«
Jetzt war sie es, die die Lippen spitzte, die ihn küßte und sehr leise sagte:
»Mich hungert und dürstet nur nach einem, nämlich geliebt zu werden, über alles, mehr als alles geliebt zu werden, so wie du mich liebst.«
An dem Tage, da Martine das Bild bemerkte, das an der Wand hing, betrachtete sie es einen Augenblick schweigend; dann bekreuzigte sie sich, ohne daß jemand erfuhr, ob sie Gott oder den Teufel hatte vorübergehen sehen. Einige Tage vor Ostern hatte sie Clotilde gefragt, ob sie mit ihr zur Kirche gehe, und da Clotilde verneinte, ließ Martine einen Augenblick die stumme Ehrerbietung beiseite, die sie jetzt zur Schau trug. Von all dem Neuen, was sie im Hause in Erstaunen setzte, war es vor allem die plötzliche Gottlosigkeit ihrer jungen Herrin, die sie aus der Fassung brachte. Daher verfiel sie wieder in ihren alten, zurechtweisenden Ton und schalt Clotilde wie zu der Zeit, da sie noch klein war und nicht ihr Gebet sprechen wollte. Fürchtete sie denn den Herrn nicht mehr? Zitterte sie nicht mehr bei dem Gedanken, ewig in der Hölle zu schmoren?
Clotilde konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
»Ach, die Hölle – du weißt ja, sie hat mich nie sehr beunruhigt … Aber du irrst dich, wenn du glaubst, ich hätte keine Religion mehr. Ich gehe nur deshalb nicht mehr zur Kirche, weil ich meine Andacht anderswo verrichte, das ist alles.«
Martine war sprachlos und sah sie verständnislos an. Es war aus, das Fräulein war wirklich verloren. Und nie mehr bat sie Clotilde darum, sie nach Saint Saturnin zu begleiten. Nur nahm ihre eigene Frömmigkeit noch zu und wurde schließlich zur Manie. Man traf Martine außerhalb der Arbeitsstunden nicht mehr mit ihrem ewigen Strumpf, an dem sie selbst im Gehen strickte. Sobald sie eine freie Minute hatte, lief sie jetzt zur Kirche und blieb dort in endlose Gebete versunken. Eines Tages, als die alte Frau Rougon, die immer auf der Lauer lag, sie hinter einem Pfeiler traf, wo sie sie eine Stunde zuvor bereits gesehen hatte, wurde Martine rot und entschuldigte sich wie eine Magd, die man beim Nichtstun ertappt.
»Ich habe für den Herrn Doktor gebetet.«
Pascal und Clotilde dehnten unterdessen ihr Reich weiter aus, ihre Spaziergänge wurden von Tag zu Tag länger, sie ließen jetzt die Stadt hinter sich und durchstreiften das weite Land. Und als sie sich eines Nachmittags nach La Séguiranne begaben, gingen sie mit Rührung an den urbar gemachten düsteren Feldern entlang, dort, wo sich einst die verzauberten Gärten des Paradou erstreckt hatten. Die
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