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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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versöhnlich rief sie aus:
    »So heiratet doch! Warum heiratet ihr nicht?«
    Clotilde war einen Augenblick verblüfft. Weder sie noch der Doktor hatten an eine Heirat gedacht. Sie begann wieder zu lächeln.
    »Wären wir dann etwa glücklicher, Großmutter?«
    »Es geht nicht um euch, es geht wieder einmal um mich, um all eure Angehörigen … Wie kannst du, mein liebes Kind, mit diesen heiligen Dingen Scherz treiben? Hast du denn alle Scham verloren?«
    Ohne sich zu empören, immer noch sehr sanft, machte das junge Mädchen eine weit ausholende Gebärde, wie um zu sagen, daß es sich seiner Verfehlung nicht zu schämen vermöchte. Ach, mein Gott, es gab im Leben soviel Verderbtheit und Schwachheit! Was hatten sie schon Schlechtes getan unter dem strahlenden Himmel, wenn sie sich das große Glück schenkten, einander anzugehören? Im übrigen beharrte sie nicht eigensinnig.
    »Wir können ja heiraten, wenn du es wünschst, Großmutter. Er wird tun, was ich will … Aber später, es hat keine Eile.«
    Sie bewahrte ihre strahlende Heiterkeit. Da sie doch außerhalb der Welt lebten, weshalb sich um der Welt willen Gedanken machen?
    Die alte Frau Rougon mußte sich mit diesem vagen Versprechen zufriedengeben. In der Stadt gab sie sich von diesem Augenblick an den Anschein, als hätte sie alle Beziehungen zur Souleiade, jener Stätte der Verderbtheit und der Schande, abgebrochen. Sie setzte niemals mehr den Fuß dorthin, sie trauerte würdevoll ob dieser neuen Heimsuchung. Aber trotzdem gab sie nicht auf, sondern blieb auf der Lauer, bereit, die geringste Gelegenheit zu nutzen, um wieder auf dem Plan zu erscheinen, mit jener Zähigkeit, die ihr stets den Sieg eingebracht hatte.
    Jetzt gaben Pascal und Clotilde ihr zurückgezogenes Leben auf. Es sollte keine Herausforderung sein; sie wollten auch nicht den gemeinen Gerüchten entgegentreten, indem sie ihr Glück zur Schau stellten. Ganz natürlich brach sich ihre Freude Bahn. Ihre Liebe hatte allmählich ein Bedürfnis nach Weite und Raum bekommen, zunächst über das Zimmer, dann über das Haus, jetzt über den Garten hinaus in die Stadt, in das weite umgebende Land. Diese Liebe erfüllte alles, sie schenkte ihnen die Welt. Der Doktor machte also wieder seine Krankenbesuche, nahm das junge Mädchen mit, und sie gingen zusammen die Spazierwege entlang und schlenderten durch die Straßen, sie im hellen Kleid an seinem Arm, einen Blütenstrauß im Haar, er in seinem Überrock, den breitrandigen Hut auf dem Kopf. Er war ganz weiß; sie war ganz blond. Sie schritten erhobenen Hauptes aufrecht und lächelnd dahin, so strahlend glückselig, daß sie in einem Glorienschein zu, wandeln schienen. Zuerst war die Erregung ungeheuer groß, die Ladeninhaber traten vor die Türen, Frauen beugten sich aus den Fenstern, Vorübergehende blieben stehen, um ihnen nachzusehen. Man tuschelte, man lachte, man zeigte mit dem Finger auf sie. Es stand zu befürchten, daß dieser Ansturm feindseliger Neugier schließlich auch die Straßenjungen erfaßte und sie mit Steinen nach ihnen werfen würden. Doch die beiden waren so schön, er prächtig und sieghaft, sie so jung, so ergeben und so stolz, daß allmählich jedermann von unbezwinglicher Nachsicht ergriffen wurde. Ihr Glück wirkte ansteckend, und man konnte nicht umhin, sie zu beneiden und sie zu lieben. Sie strahlten einen Zauber aus, der die Herzen verwandelte. Die Neustadt mit ihrer bürgerlichen Bevölkerung, Beamte und Neureiche, konnten sie erst zuletzt für sich gewinnen. Das SaintMarcViertel zeigte sich trotz seiner Sittenstrenge gleich freundlich und von taktvoller Toleranz, wenn sie auf den grasbewachsenen, menschenleeren Gehsteigen dahingingen, vorbei an den schweigsamen, verschlossenen alten Herrschaftshäusern, die noch den Duft vergangener Liebesabenteuer ausströmten. Und vor allem das alte Stadtviertel war es, das sie bald freudig empfing; hier empfanden die kleinen Leute instinktiv den legendären Zauber, den tiefgründigen Mythos des Paares – das schöne junge Mädchen, das den königlichen, wieder jung gewordenen Meister stützt. Hier vergötterte man den Doktor um seiner Güte willen, und seine Gefährtin wurde rasch beliebt; sobald sie sich zeigte, grüßte man sie mit Gebärden der Bewunderung und des Lobes. Wenngleich es schien, als hätten die beiden die anfänglichen Feindseligkeiten nicht wahrgenommen, spürten sie jetzt sehr wohl die Verzeihung und die rührende Freundschaft, die sie umgab; und das machte sie noch

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