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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Erscheinung Albines erstand vor ihnen, Pascal sah sie wieder vor sich, blühend wie der Frühling. Niemals hätte er, der sich schon für sehr alt hielt und der dorthin kam, um diesem kleinen Mädchen zuzulächeln, damals geglaubt, daß sie schon viele Jahre tot sein würde, wenn ihm das Leben das Geschenk eines ebensolchen Frühlings machte, der seinen Lebensabend mit balsamischem Duft erfüllte. Clotilde fühlte, wie die Erscheinung zwischen ihnen auftauchte, und hob in wiedererwachendem Liebesverlangen ihr Antlitz zu Pascal empor. Sie war Albine, die ewig Liebende. Er küßte sie auf die Lippen, und ohne daß sie ein Wort gewechselt hätten, fuhr ein heftiger Schauer über das mit Weizen und Hafer bestandene flache Land, wo einst die gewaltige grüne Dünung des Paradou gewogt hatte.
    Jetzt gingen Pascal und Clotilde im knirschenden Staub der Landstraßen durch die ausgedörrte nackte Ebene. Sie liebten diese glühende Natur, die mit kümmerlichen Mandelbäumen und zwergenhaften Ölbäumen bepflanzten Felder und die kahlen Hänge am Horizont, wo sich die blassen Flecke der ländlichen Hütten scharf von den schwarzen Balken der hundertjährigen Zypressen abhoben. Das alles erinnerte an alte Landschaften, an jene klassischen Landschaften, wie man sie auf den Bildern der alten Schulen sieht, mit harten Farbtönen, mit harmonischen, erhabenen Linien. Die ganze aufgespeicherte Sonnenglut, die dieses Land ausgebrannt zu haben schien, floß durch ihre Adern, und sie wurden dadurch lebensvoller und schöner unter dem allzeit blauen Himmel, von dem die helle Flamme ewiger Leidenschaften herabfuhr. Clotilde, die der Sonnenschirm ein wenig schützte, blühte auf, glücklich über dieses Lichtbad wie eine Pflanze in der prallen Mittagssonne, während Pascal wiederauflebte, den brennenden Lebensstrom der Erde in einer Woge männlicher Freude wieder in seine Glieder aufsteigen fühlte.
    Dieser Spaziergang nach La Séguiranne war ein Einfall des Doktors, der durch Tante Dieudonne von der bevorstehenden Heirat Sophies mit einem Müllerburschen aus der Umgebung erfahren hatte; er wollte sehen, ob man in diesem Winkel gesund und glücklich war. Als sie in den breiten Weg mit den hohen grünen Eichen einbogen, erfrischte sie sogleich eine wonnige Kühle. Zu beiden Seiten des Weges rieselten unaufhörlich die Quellen, die Nährmütter jener großen schattenspendenden Bäume. Als sie dann zum Haus des Weißgerbers kamen, sahen sie sogleich die beiden Liebenden, Sophie und ihren Müllerburschen, die sich nahe beim Brunnen herzhaft küßten, denn die Tante war zum Waschplatz hinter den Weiden der Viorne hinuntergegangen. Sehr verlegen erröteten die beiden. Aber der Doktor und seine Gefährtin lachten freundlich, und die Liebenden beruhigten sich und erzählten, daß die Heirat am Johannistag stattfinden solle; das sei zwar noch lange hin, aber trotzdem werde der Tag kommen. Sophie war sicherlich noch gesünder und schöner geworden, gerettet von dem erblichen Leiden, kräftig gewachsen wie einer jener Bäume, die mit ihren Wurzeln im feuchten Gras der Quellen stehen, die Wipfel im hellen Sonnenschein. Ach, dieser glühende, unermeßliche Himmel, welche Lebenskraft hauchte er den Wesen und den Dingen ein! Sophie hatte nur einen Schmerz; Tränen traten ihr in die Augen, als sie von ihrem Bruder Valentin sprach, der vielleicht die Woche nicht überleben würde. Sie hatte am Abend zuvor Nachricht von ihm erhalten, er war verloren. Und der Doktor mußte ein wenig lügen, um sie zu trösten, denn er selber erwartete das unvermeidliche Ende von einer Stunde zur anderen. Als Clotilde und er La Séguiranne verließen, kehrten sie mit immer langsamer werdendem Schritt nach Plassans zurück, gerührt vom Glück dieser gesunden Liebe, das der leise Schauer des Todes durchzitterte.
    Im alten Stadtviertel berichtete ihnen eine Patientin Pascals, daß Valentin soeben gestorben sei. Zwei Nachbarinnen hatten Guiraude, die sich heulend, halb wahnsinnig an den Leichnam ihres Sohnes klammerte, wegführen müssen. Er ging hinein und ließ Clotilde an der Tür zurück. Schließlich traten sie schweigend den Rückweg zur Souleiade an. Seit er seine Krankenbesuche wieder aufgenommen hatte, schien er sie nur aus beruflicher Verpflichtung zu machen und pries nicht mehr die Wunder seiner Heilmethode. Er wunderte sich übrigens, daß Valentins Tod sich so lange hinausgezögert hatte; er war überzeugt, daß er das Leben des Kranken um ein Jahr verlängert hatte.

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