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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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»Und da Ihr immer zum Notar geht, Martine, so wißt Ihr ja, daß ich daneben noch meine Jahreszinsen habe.«
    Sie sagte jetzt mit der tonlosen Stimme der Geizigen, die der Alptraum eines stets drohenden Unheils verfolgt:
    »Und wenn Sie sie nicht mehr hätten?«
    Verblüfft schaute Pascal sie an und begnügte sich, mit einer weiten, unbestimmten Handbewegung zu antworten, denn die Möglichkeit eines Unglücks kam ihm gar nicht in den Sinn. Der Geiz verdreht ihr den Kopf, dachte er, und am Abend machte er sich mit Clotilde darüber lustig.
    In Plassans gaben die Geschenke ebenfalls Anlaß zu endlosen Klatschereien. Was auf der Souleiade vor sich ging, dieses so absonderliche, so glühende Liebesfeuer, war ruchbar geworden, war über die Mauern hinausgedrungen – man wußte nicht recht, wie – durch jene Mitteilsamkeit, die der stets wachen Neugier in den Kleinstädten Nahrung gibt. Das Dienstmädchen erzählte gewiß nichts; aber vielleicht genügte ihre Miene; es gab Redereien, und zweifellos hatte man die beiden Liebenden über die Mauern hinweg belauert. Und die Geschenke waren dann noch hinzugekommen, sie bewiesen alles und machten alles noch schlimmer. Wenn der Doktor am frühen Morgen durch die Straßen streifte und zu den Juwelieren, den Weißnäherinnen und Putzmacherinnen ging, wurde er von den Fenstern aus beobachtet, seine geringsten Einkäufe wurden belauert, die ganze Stadt wußte am Abend, daß er Clotilde wieder eine seidene Haube, spitzenbesetzte Hemden, ein mit Saphiren verziertes Armband geschenkt hatte. Und das wurde langsam zum Skandal, dieser Onkel, der seine Nichte verführt hatte, der für sie wie ein junger Mann Torheiten beging und sie wie die Jungfrau Maria schmückte. Die seltsamsten Geschichten begannen die Runde zu machen, im Vorübergehen wies man mit dem Finger auf die Souleiade.
    Vor allem die alte Frau Rougon geriet vor Empörung außer sich. Sie hatte ihren Sohn nicht mehr besucht, seit sie erfahren hatte, daß Clotildes Heirat mit Doktor Ramond nicht zustande gekommen war. Man machte sich über sie lustig, man erfüllte keinen ihrer Wünsche. Nach einem langen Monat der Trennung, in dem sie nicht begriff, was es mit den mitleidsvollen Mienen, den versteckten Beileidsbezeigungen, dem unbestimmten Lächeln, mit dem man ihr überall begegnete, auf sich hatte, erfuhr sie dann plötzlich alles, und das war für sie wie ein Schlag vor den Kopf. Da hatte sie nun während der Krankheit Pascals, als er wie ein Werwolf in Hochmut und Angst lebte, gewettert, damit sie nicht wieder zum Gespött der Stadt würden! Diesmal war es viel schlimmer, der Gipfel des Skandals, ein tolles Bubenstück, über das man sich die Mäuler zerriß! Von neuem war die Legende der Rougons in Gefahr – ihr unglückseliger Sohn wußte offenbar nicht, was alles er noch erfinden sollte, um den so mühsam errungenen Ruhm der Familie zu zerstören. In ihrer zornigen Erregung setzte Frau Rougon, die sich zur Hüterin dieses Ruhms gemacht hatte und die Legende mit allen Mitteln rein erhalten wollte, ihren Hut auf und eilte mit der jugendlichen Lebendigkeit ihrer achtzig Jahre zur Souleiade. Es war zehn Uhr morgens.
    Pascal, der sich über den Bruch mit seiner Mutter freute, war zum Glück nicht da; er war seit einer Stunde unterwegs auf der Suche nach einer alten Silberspange, die er für einen Gürtel haben wollte. Und Félicité geriet an Clotilde, die gerade Toilette machte, noch in kurzem Hemd, mit nackten Armen und aufgelöstem Haar, frisch und heiter wie eine Rose.
    Der erste Zusammenstoß war heftig. Die alte Dame machte ihrem Herzen Luft, entrüstete sich, sprach in hitziger Erregung von der Religion und der Moral und sagte schließlich:
    »Antworte mir, warum seid ihr auf diese abscheuliche Geschichte verfallen und habt Gott und die Menschen so herausgefordert?«
    Lächelnd, doch sehr ehrerbietig, hatte das junge Mädchen sie angehört.
    »Weil es uns so gefallen hat, Großmutter. Sind wir nicht frei? Wir sind niemandem verpflichtet.«
    »Niemandem verpflichtet! Und mir, wie? Und der Familie? Da wird man uns wieder schön in den Schmutz ziehen! Glaubst du vielleicht, das macht mir Vergnügen?«
    Plötzlich legte sich ihre Erregung. Sie sah Clotilde an und fand sie ganz entzückend. Im Grunde genommen wunderte sie sich gar nicht über das, was geschehen war, es war ihr gleichgültig; sie hatte nur eben den Wunsch, daß es auf korrekte Weise zu Ende gebracht würde, damit die bösen Zungen endlich schwiegen. Und

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