Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Schaden der Gattung verlängern, heißt das nicht zunichte machen, was die Natur im Sinne hat? Und haben wir das Recht, von einer gesünderen, kräftigeren Menschheit zu träumen, die nach unseren Vorstellungen von Gesundheit und Kraft geformt ist? Was geht uns das an, was mischen wir uns ein in diese mühevolle Arbeit des Lebens, dessen Mittel und Zweck wir nicht kennen? Vielleicht ist alles gut. Vielleicht laufen wir Gefahr, die Liebe zu töten, das Genie, das Leben selber … Hörst du, ich gestehe es dir allein: der Zweifel hat mich gepackt, ich zittere bei dem Gedanken an meine Alchimie des zwanzigsten Jahrhunderts, ich glaube allmählich, daß es erhabener und gesünder ist, der Entwicklung ihren Lauf zu lassen.«
    Er unterbrach sich und fügte dann so leise, daß sie ihn kaum hören konnte, hinzu:
    »Du weißt, daß ich ihnen jetzt Wasser einspritze. Es ist dir selber aufgefallen, weil du mich nicht mehr mit dem Mörser hantieren hörst, und ich sagte dir, ich hätte noch Flüssigkeit in Reserve … Das Wasser verschafft ihnen Erleichterung, dies ist zweifellos eine einfache mechanische Wirkung. Ach, Erleichterung verschaffen, von den Schmerzen befreien, das will ich noch, gewiß! Das ist vielleicht meine letzte Schwäche, aber ich kann niemand leiden sehen, das Leiden bringt mich aus der Fassung wie eine ungeheuerliche und sinnlose Grausamkeit der Natur … Ich behandle die Kranken nur noch, um sie von den Schmerzen zu befreien.«
    »Wenn du nicht mehr heilen willst, Meister«, fragte sie, »ist es doch auch nicht mehr nötig, alles zu sagen? Denn die furchtbare Notwendigkeit, die Wunden aufzudecken, war durch nichts anderes zu entschuldigen als durch die Hoffnung, sie zu schließen.«
    »Doch, doch! Man muß wissen, man muß trotzdem wissen, man darf nichts verbergen, sondern muß alles über die Dinge und Wesen offen bekennen … Kein Glück ist möglich in der Unwissenheit, die Gewißheit allein läßt uns in Ruhe leben. Wenn man erst mehr weiß, wird man sicherlich alles akzeptieren … Begreifst du nicht, daß der Wunsch, alles zu heilen, alles zu erneuern, ein falscher Ehrgeiz unseres Egoismus ist, eine Auflehnung gegen das Leben, das wir für schlecht erklären, weil wir es vom Gesichtspunkt unseres Interesses aus beurteilen? Ich fühle wohl, daß ich mehr innere Ruhe habe, daß sich mein Geist erweitert und erhoben hat, seit ich die Entwicklung anerkenne. Ich liebe das Leben so leidenschaftlich, daß ich sein Ziel nicht in Frage stelle, daß ich mich ihm gänzlich anvertraue, mich in ihm verliere, ohne es entsprechend meiner Auffassung von Gut und Böse neu schaffen zu wollen. Das Leben allein ist souverän, das Leben allein weiß, was es tut und wohin es geht; ich kann mich nur bemühen, es zu erkennen, um es zu leben, wie es gelebt sein will … Und siehst du, ich begreife das Leben erst, seit du mir gehörst. Solange ich dich nicht hatte, suchte ich die Wahrheit woanders, quälte mich mit der fixen Idee herum, die Welt retten zu wollen. Du bist gekommen, und das Leben ist erfüllt, die Welt rettet sich allzeit selber durch die Liebe, durch das ungeheure, unaufhörliche Bemühen alles dessen, was lebt und sich durch Zeit und Raum fortpflanzt … Das unfehlbare Leben, das allmächtige Leben, das unsterbliche Leben!«
    Auf seinen Lippen zitterte nur noch ein hebendes Glaubensbekenntnis, ein Seufzer der Hingabe an die höheren Mächte. Sie widersprach nicht länger und gab sich ebenfalls hin.
    »Meister, ich will nichts, was nicht dein Wille ist, nimm mich hin und mach mich zu der Deinen, daß ich mit dir vereinigt vergehe und wiedererstehe!«
    Sie gehörten einander an. Dann flüsterten sie noch miteinander, planten ein idyllisches Dasein, ein ruhiges, kraftvolles Leben auf dem Lande. Auf dieses einfache Rezept einer kräftigenden Umgebung lief die Erfahrung des Doktors hinaus. Er verwünschte die Städte. Man konnte nur auf dem weiten Lande, in der strahlenden Sonne gesund und glücklich sein, wenn man dem Geld, dem Ehrgeiz, ja selbst der hochmütigen Übertreibung der geistigen Arbeit entsagte. Nichts tun als leben und lieben, seinen Acker bestellen und schöne Kinder haben.
    »Ach«, begann er leise wieder, »das Kind, unser Kind, das vielleicht eines Tages kommt …«
    Und in der inneren Bewegung, die ihn bei dem Gedanken an diese späte Vaterschaft erschütterte, vollendete er den Satz nicht. Er vermied es, davon zu sprechen, er wandte mit feuchten Augen den Kopf ab, wenn ihnen auf ihren

Weitere Kostenlose Bücher