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Doktor Proktors Pupspulver

Doktor Proktors Pupspulver

Titel: Doktor Proktors Pupspulver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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könnte es passieren, dass das Licht noch kurz die Zähne im Maul eines dieser fetten, schleimigen Biester aufblitzen ließe, bevor es verschwinden würde. Oder: bevor es sich in deiner Kehle verbissen hätte. Denn es sind absolut blitzschnelle Biester dabei.
    Damit ist keine unschuldige kleine norwegische Ratte, kein Rattus norvegicus gemeint, sondern richtig biestige Biester. So welche wie Attila. Attila war eine alte mongolische Wasserratte, die schon seit fünfunddreißig Jahren hier unten lebte und geschlagene fünfzehn Kilo wog. Wenn du mehr über Wasserratten lesen willst, schlag mal auf Seite 678 in »TIERE, DENEN DU NIE BEGEGNEN MÖCHTEST« nach.

    Attila frühstückte gern mal eine kleine norwegische Ratte, wenn gerade eine vorbeikam. Er war der König des Abwassersystems von Oslo. Das heißt, er hatte geglaubt, dass er das war, bis jetzt.
    Attilas Regierungszeit hatte vor vielen Jahren begonnen, aber er war nicht immer König gewesen. Als er noch ein knuddeliges kleines Pelzknäuel war, nur wenige Monate alt, hatte eine Familie aus dem Stadtteil Hovseter ihn in einer Tierhandlung gekauft. Und zwar, weil der fette Sohn der Familie auf Attila gedeutet und geschrien hatte, so eine Ratte wolle er. Und die Eltern hatten getan, was der Junge ihnen befahl.
    Sie hatten Attila das Schlimmste zu fressen gegeben, was er sich vorstellen konnte, nämlich Fischfrikadellen, und ihm ein Metallhalsband umgebunden, in das der Name Attila eingraviert war, und der fette Junge hatte die arme Wasserratte jeden Tag aufs Neue gequält, indem er Stöckchen in den Käfig steckte und sie damit pikste. Jeden einzelnen Tag tat er das, bis zu dem Tag, an dem Attila dank der vielen Fischfrikadellen so dick und fett geworden war, dass er einen neuen Käfig brauchte, solange er beim alten überhaupt noch durch die Tür passte.
    Auf diesen Tag hatte Attila sich schon sein Leben lang gefreut. Und als der Junge die Hand in den Käfig steckte, um Attila herauszuholen, hatte Attila das Maul aufgesperrt, so weit er nur konnte, und die Zähne in das wunderbare, weiche und weiße Menschenfleisch geschlagen. Viel besser als Fischfrikadellen!
    Und während der Junge kreischte und sein Blut nur so spritzte, war Attila so blitzschnell wie eine mongolische Wasserratte aus dem Käfig geschlüpft, aus der Wohnung gewetzt und war von der Erdoberfläche des Stadtteils Hovseter verschwunden, nämlich in einem Gully. Und von dort hatte er sich bis unters Stadtzentrum durchgeschlagen, wo er schon bald wegen seines biestigen Verhaltens allgemein gefürchtet war. Vor allem bei sämtlichen Rattus norvegicus, von den über dem Oslofjord gelegenen Stadtteilen bis zur Kläranlage draußen in Aker.

    Doch in dieser Nacht, tief unter Oslo, während Lise und Bulle süß und friedlich schliefen, saß Attila zitternd vor Angst in der Ecke eines Abwasserkanals. Denn eben war kurz vor ihm etwas aufgeblitzt, das aussah wie Zähne. Zähne, noch viel größer als seine eigenen. Sollte etwa die Legende, die seit Jahren in der Osloer Kanalisation umging, doch wahr sein? Er spürte, wie sein mongolisches Wasserrattenherz vor Angst raste, und außerdem war es ringsum dunkel, so dunkel. Zum ersten Mal dachte Attila, dass es hier in der Kanalisation eigentlich ziemlich schlecht roch und er sich gut vorstellen konnte, irgendwo anders zu sein als ausgerechnet jetzt hier in diesem Abwasserkanal. Sogar in Hovseter. Dann versuchte Attila, sich selbst Mut zuzureden. Diese Legende konnte gar nichts anderes sein als Erfindung. Eine Anakonda? So ein Quatsch. Anakondas sind Würgeschlangen und leben am Amazonas, wo sie dicke, fette Wasserratten fressen, aber doch nicht hier unter Oslo, wo es überhaupt keine Wasserratten gibt. Ähm, bis auf eine. Jetzt machte Attila sich doch ein wenig Sorgen.
    Und während er sich sorgte, kam etwas direkt auf ihn zu. Etwas, so groß wie das Loch in einem Schwimmreifen, umkränzt von scharfen Reißzähnen, so groß wie Eiszapfen. Das Etwas zischte und hatte einen so fürchterlichen Mundgeruch, dass verglichen damit der Abwasserkanal duftete wie eine liebliche Blumenwiese.
    Es war derart unheimlich, dass Attila einfach die Augen zukniff.
    Und als er sie wieder aufmachte, tropfte alles rings um ihn. Und es war so unbegreiflich dunkel. Als würde er nicht in einem Abwasserkanal sitzen, sondern in etwas, das noch viel dunkler war. Und ihm war, als würden die Wände sich bewegen, sich zusammenziehen und sich wellenförmig schlängeln. Als säße er bereits im

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