Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Proktors Pupspulver

Doktor Proktors Pupspulver

Titel: Doktor Proktors Pupspulver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
stumm da und kauten weiter an ihren Broten, bis Bulle plötzlich rief:
    »Ich hab’s!«
    Lise und Doktor Proktor sahen ihn ohne großes Inte resse an, denn das war schon das vierte Mal innerhalb kürzester Zeit, dass Bulle rief: »Ich hab’s«, aber er hatte es dann doch nicht.
    Bulle hüpfte auf den Gartentisch. »Wir benutzen das Pulver ganz einfach dafür, wozu wir es jetzt auch benutzen.«
    »Aber wir benutzen es doch zu nichts«, sagte der Professor.
    »Wir veranstalten nur sinnloses Geballer«, sagte Lise.
    »Genau!«, sagte Bulle. »Und wer auf der Welt mag sinnloses Geballer mehr als alle anderen?«
    »Na ja«, meinte der Professor. »Ich nehme an, Kinder. Und Erwachsene, die sich ein kindliches Gemüt bewahrt haben.«
    »Genau! Und wann genau wollen die rumballern?«
    »Zu Silvester?«
    »Ja!«, rief Bulle aufgeregt. »Und...und... und?«
    »Und am 17. Mai!« Jetzt hüpfte auch Lise auf den Tisch. »Wir haben ja bald den 17. Mai! Verstehen Sie nicht, Professor? Wir brauchen uns überhaupt nichts auszudenken, wir verkaufen das Pulver einfach als das, was es ist!«
    Der Professor bekam kugelrunde Augen und reckte seinen langen, runzeligen Hals, bis er aussah wie ein Stelzvogel. »Interessant«, murmelte er. »Äußerst interessant.
    17. Mai... Kinder... Geballer...das ist...das ist...«Mit einem Satz hüpfte er zu den beiden auf den Tisch. »Heureka!«
    Und wie auf ein zuvor vereinbartes Signal führten sie alle miteinander um die Saftgläser einen Indianertanz auf.

6 . Kapite l
Dirigent Madsen und die Schulkapelle
    adsen stand mit erhobenen Händen in der Turnhalle. Vor ihm saßen zwanzig Kinder und Jugendliche, die Mitglieder der schuleigenen Blaskapelle. Madsen hatte sich einen Taktstock zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand geklemmt, die übrigen acht Finger spreizte er in alle Richtungen. Mit geschlossenen Augen träumte er sich in eine andere Welt, weit weg von Sprossenwänden, abgetretenem Parkett und Turnmatten, hinein in einen voll besetzten Konzertsaal in Venedig mit kristallenen Kronleuchtern unter der Decke und festlich gekleideten, jubelnden Menschen auf den Rängen. Dann schlug Madsen die Augen wieder auf.
    »Bereit?«, rief er und runzelte die Nase, damit seine dunkle Pilotensonnenbrille nicht hinunterrutschte. Denn anders als Frau Strobe hatte Madsen eine kurze, dicke Nase voll schwarzer Poren.
    Keines der zwanzig Gesichter auf den Stühlen vor ihm sah aus, als wäre es bereit. Aber sie protestierten auch nicht, also zählte Madsen den Takt vor, als wäre es ein Countdown:
    »Vier–drei–zwei–eins!«
    Dann schwang er den Taktstock wie einen Zauberstab und die Schulkapelle legte los. Nicht gerade wie eine Rakete, eher wie ein Zug, der sich prustend und fauchend langsam in Bewegung setzt. Die Trommeln hatten wie immer schon lange losgespielt, bevor Madsen bei eins angekommen war. Jetzt wartete er nur noch auf den Rest der Kapelle. Erst ertönte ein Heuler von einer Posaune, dann blökte ein Waldhorn in falschem Dur los und zwei Klarinetten spielten beinahe einstimmig. Die beiden Trompeter, die Zwillinge Truls und Trym Thrane, popelten in der Nase. Irgendwann schaffte es Petra schließlich, ihrer Tuba tatsächlich ein paar Töne zu entlocken, und Per schlug versuchsweise einmal auf die große Pauke.

    »Nein, nein, nein!«, rief Madsen verzweifelt und fuchtelte abwehrend mit dem Taktstock, doch genau wie ein Zug war die Kapelle nicht so leicht zu stoppen, wenn sie erst mal Fahrt aufgenommen hatte. Und als sie anzuhalten versuchte, klang sie, als würde ein Eimer voller Besteck und Töpfe scheppernd auf den Boden fallen. Krach! Bang! Tröööt!
    Als endlich Stille eingekehrt war und die Fenster der Turnhalle nicht mehr klirrten, nahm Madsen seine Pilotensonnenbrille ab:
    »Liebe Freunde. Wie viele Tage sind es noch bis zum 17. Mai?« Niemand antwortete. Madsen stöhnte. »Nein, das ist wohl auch nicht zu erwarten. Schließlich wisst ihr offenbar auch nicht, welches Stück wir spielen. Welches Stück spielen wir, Trym?« Trym zog den Finger aus der Nase und sah seinen Bruder fragend an.
    »Na, Truls«, sagte Madsen, »kannst du Trym helfen?«
    Truls kratzte sich mit der Trompete am Rücken und schielte zum Notenständer. »Meine Noten haben Regen abgekriegt, Madsen. Kann nix mehr erkennen.«
    »Aha, soso«, sagte Madsen. »Es handelt sich um ›Ja, wir lieben dieses Land‹. Das ist die norwegische Nationalhymne, Herrgott noch mal! Kann denn wirklich niemand außer Lise hier eine

Weitere Kostenlose Bücher