Dolce Vita, süßer Tod: Kriminalroman (Inspektor Stucky) (German Edition)
Toten …‹«
»Haben Sie Angst vor dem Tod?«, fragte Dr. Tarfusser.
»Kein bisschen.«
»Habe ich mir schon gedacht …«
14. D EZEMBER
Steif wie ein Stock erwartete Signor Schepis den Inspektor an der Haustür. Er erklärte, seine Frau sei nicht da, sie sei gebrechlich, und forderte Stucky auf, vor ihm in die Wohnung hinaufzugehen. Er war groß gewachsen, eine vornehme Erscheinung mit offenem Blick. Er ließ sich ein Bärtchen stehen, das sein Kinn einrahmte und ebenso schlohweiß war wie seine Augenbrauen und sein Haar. Nur die Behaarung auf den Fingern war immer noch von einem seidigen Schwarz. Er sei Arzt, sagte er, habe im Militärhospital der Stadt praktiziert. Genauer gesagt, sei er Sanitätsarzt im Rang eines Obersts, also eines Colonello. Zu ihm waren die Infanteristen und Panzergrenadiere gekommen, um sich nach einer Untersuchung einen Urlaubsschein oder in der Folge von Unfällen und Unachtsamkeiten, Saufereien oder einer Blinddarmentzündung eine Bescheinigung für einen Erholungsurlaub zu beschaffen. Während Colonello Schepis die Leute untersucht hatte, hatte er die Pfeife zwischen die Zähne geklemmt gehalten, und ihm hatten ein paar kurze Tatscher auf den Rücken des Mannes genügt und ein rasches Abklopfen des Unterleibs, um sich eine Vorstellung von der jeweiligen Krankheit zu machen. Im Übrigen hatte er im Laufe der Jahre gelernt, die Menschen auf einen Blick zu durchschauen: Er erkannte die Simulanten, die kleinen Schurken, die das Zeug zum Drückeberger hatten, die Pechvögel, die sich vor dem Leben in der Kaserne ebenso fürchteten wie vor dem Tod in der Schlacht, und die fragilen Zwanzigjährigen, denen das Schicksal Körper zugeteilt hatte, die so zart wie von feinstem Glas waren, und die er, ohne Zaudern und Zagen, ins zivile Leben zurückschickte, mit einem Stempel auf dem Entlassungsschein, der ihnen ihre Unzulänglichkeit und Nichttauglichkeit attestierte.
Signor Schepis hatte die Verwaltung des Vermögens seiner Frau übernehmen müssen, eines Immobilienerbes, das ihn dazu verurteilte, sich mit dem Kauf und Verkauf von Häusern in Istrien, in den Vororten von Ljubljana und entlang der friaulischen und venetischen Adriaküste zu befassen. Wider Willen war er zum Experten für Badeanstalten und Sommerhäuser geworden. Aus seiner Stimme hörte man heraus, wie sehr er unter dieser Aufgabe litt, wie groß die Verachtung gegen sich selbst und die Baufirmen war, mit denen er Geschäfte aushandelte, gegen die Handwerker, die Leute von der Gemeindeverwaltung, die die Unterlagen für den Bau besorgten, und wie zuwider ihm alle Auftragsvergaben waren, von den Vermessungsingenieuren und den Architekten ganz zu schweigen. Allesamt Scheusale, seiner Meinung nach.
Und er hätte gern eine ganze Schar Söhne gehabt, der Kontinuität, dem Vaterland und seiner Stadt, Triest, zuliebe. Doch er hatte einsehen müssen, dass seine Frau dafür nicht geschaffen war. Sie hatten es versucht, mit allen Kunstgriffen und den in solchen Fällen angezeigten Behandlungen, mit Untersuchungen in Frankreich und auch in London, einer Stadt, die er nicht leiden konnte, ebenso wenig wie die Engländer an sich. Es war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich in sein Schicksal zu ergeben, und seine Frau hatte ihn gebeten, ein Kind zu adoptieren, ein Wesen, das sie heranwachsen sehen konnten. Viele Jahre hatte er nichts davon wissen wollen, bis er, fast als hätte er eine Erleuchtung gehabt, eine Chance zur Rache sah und ein schwarzes Mädchen, eines aus den ehemaligen italienischen Kolonien, an Kindes statt annehmen wollte. Ihm schien es, als könnte er mit der Adoption eines kleinen Mädchens aus Äthiopien mit dem königlichen Namen Jolanda auf akzeptable Weise die Ironie der Tatsache kompensieren, dass er sein Lebensziel verfehlt hatte.
Am Ende hatte er sogar ein wenig Zuneigung zu ihr gefasst; wie sollte man sich dann, wenn das Leben sich dem Ende zuneigt und das Leben einem keinen weiteren Horizont mehr bietet, nicht für ein Kind erwärmen?
»Warum, Colonello Schepis, ist Jolanda nach Treviso gezogen? Ist sie vor irgendetwas geflüchtet?«
Der Mann starrte lange auf die Anrichte aus dunklem Holz vor ihm, ließ den Blick an den Kanten entlang und über die farbigen Gläser hinweg wandern, die hinter der Scheibe oben undeutlich zu sehen waren. So, als würde er versuchen, sich zu erinnern.
»Sie hat sich bei uns nicht wohlgefühlt. Wir konnten sie nicht mehr hier halten …«
»Hat sie sich nicht als Teil
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