Dolly - 01 - Dolly sucht eine Freundin
Marlies.
Evelyn war aus dieser Sache gewiß nicht gut hervorgegangen, und sie wußte das auch. Sie fühlte sich gedemütigt. Was für ein Geschrei wegen eines Scherzes – die Mädchen tauchten einander doch oft unter. Jedenfalls würde sie ihrer Mama schreiben, daß diese gemeine Dolly sie geschlagen hatte.
Sie ging zurück in den Gemeinschaftsraum und schloß ihr Schrankfach auf. Dort lag ihr Briefpapier. Für gewöhnlich schrieb sie ihrer Mutter nicht gern. Sie fand es langweilig.
“Ich schreibe meiner Mama”, verkündete sie. Die Mädchen ringsum nähten oder lasen. Sie hatten bis zum Abendessen eine Freistunde. Niemand außer Jenny nahm von Evelyns Bemerkung Notiz.
“Heute ist doch gar kein Tag zum Schreiben?” fragte sie. “Was ist denn über dich gekommen, daß du mitten in der Woche Post nach Hause schickst? Sonst seufzt und stöhnst du doch über deinem Sonntagsbrief immer so viel, daß wir uns die Ohren zuhalten müssen!”
„Ich will meiner Mama berichten, daß Dolly mich geschlagen hat”, sagte Evelyn laut. “Ich denke nicht daran, mir das gefallen zu lassen, und Mama auch nicht.”
Katrin stand auf. “Im freue mich, daß du uns sagst, was du vorhast”, erklärte sie. “Ich werde auch mein Schreibzeug holen, denn ich bin sicher, daß du deiner Mutter nichts über die Ursache der Schläge berichten wirst. Aber ich werde es tun.”
Wütend warf Evelyn ihren Kugelschreiber hin. Sie zerriß den Brief. den sie angefangen hatte, und packte das Schreibzeug ein.
“Also gut”, sagte sie. “Ich werde nicht schreiben, denn ich will nicht, daß du meinen Eltern Geschichten erzählst. Was für eine scheußliche Schule das ist! Kein Wunder, daß meine Mama mich nicht herlassen wollte!”
„Was für eine scheußliche
Schule ist das!” schimpfte Evelyn
“Mamas armer kleiner Liebling!” sagte Alice, nachdem Evelyn wütend hinausgerauscht war. “Nie darf sie tun, was sie will! Im muß sagen, Möwenfels scheint mir sehr gut für sie zu sein.” Sie schüttelte wieder heftig den Kopf.
“Warum tust du das dauernd?” fragte Dolly.
“Ich sagte es dir ja: Ich kriege das Wasser aus meinen Ohren nicht heraus. Sie sind verstopft. Hoffentlich kann ich morgen überhaupt hören. Es ist mir schon einmal so gegangen, als ich zu lange unter Wasser schwamm.”
“Alice, wäre das komisch, wenn du morgen in Mademoiselles Stunde wirklich taub wärst!” rief Dolly unbedacht.
“Ich kann mir kaum ausmalen, was das für ein Spaß würde!” “Nun, ich schon”, sagte Alice.
“Wir wollen nur hoffen, daß meine Ohren morgen wieder in Ordnung sind.”
Alice in Not
Die Geschichte im Bad hatte eine Menge Folgen. Zunächst einmal trabte Marlies von nun an hinter Dolly her wie ein Hund, der seinen Herrn gefunden hat. Immer war sie da, um Dolly etwas zu holen oder zu tragen. Sie säuberte ihr das Pult. Sie putzte sogar die Schubladen in ihrer Wäschekommode und bot sich an, ihr jeden Tag das Bett zu machen.
Aber Dolly mochte das gar nicht. “Laß das”, sagte sie zu Marlies. “Ich kann das allein. Weshalb solltest du mein Bett machen? Sei doch nicht blöd, Marlies!”
“Aber im will nur ein wenig bei dir gutmachen!” Marlies sah Dolly mit ihren großen Augen an. “Weil du…weil du mich vor dem Ertrinken gerettet hast.”
“Sei nicht albern”, erklärte Dolly. “Du wärst nicht ertrunken, bestimmt nicht. Das weiß ich jetzt. Und Evelyn zu verprügeln war keine große Leistung.”
Aber was Dolly auch sagte, Marlies bestand darauf, sie anzubeten und ständig auf dem Sprung zu sein, ob sie etwas für sie tun könnte. Oft fand Dolly Schokolade in ihrem Pult, und immer waren frische Blumen in der Vase auf ihrer Kommode. Doch das ärgerte sie, statt sie zu erfreuen. Sie begriff nicht, daß Marlies schüchtern ihre Freundschaft suchte, weil die ihr vielleicht helfen würde. Marlies war schwach. Sie brauchte einen starken Menschen, und Dolly erschien ihr als das tüchtigste Mädchen, dem sie je begegnet war.
Die anderen neckten Dolly wegen Marlies.
“Hat dein kleiner Wauwau sich heute schon gemeldet?” fragte Alice.
“Ich wünschte, mir würde auch jemand so wunder-wunder-schöne
Blumen hinstellen”, hänselte Irene.
“Das ist echt Dolly, solche Albernheiten auch noch zu ermutigen”,
empörte sich Evelyn, die auf die kleinen Aufmerksamkeiten von
Marlies eifersüchtig war.
“Sie ermutigt sie ja gar nicht”, sagte Katrin. “Du siehst doch, daß
sie es nicht tut.”
Eine weitere Folge der Badegeschichte
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