Dolly - 01 - Dolly sucht eine Freundin
klammerte sich mit allen Kräften an Dolly. Evelyn, die
wegen Dollys Zorn erschrocken war, hielt es für das beste, aus dem
Wasser zu gehen, bevor Dolly ihre Drohung wahr machte. Sie stapfte
schnell zur Treppe hin.
Gerade als sie hinaussteigen wollte, wurde sie von Dolly erwischt.
Sie hatte Alice die weinende Marlies übergeben.
“Ich tauche dich nicht unter, du Feigling!” schrie Dolly ganz außer
sich. “Aber zeigen will ich dir, was Mädchen wie du verdienen!” Dann waren vier knallende Schläge zu hören.
Evelyn heulte auf vor Schmerz. Dollys Hand war hart, und sie hatte
mit aller Kraft zugeschlagen, gleichgültig, wohin sie die aus dem
Wasser fliehende Evelyn traf.
“He, Dolly!” rief Katrin, die Zimmerälteste. “Höre auf! Was fällt
dir ein? Laß von Evelyn ab!”
Flammend vor Zorn drehte Dolly sich zu Katrin um. “Irgendeiner
mußte dieser feigen Evelyn doch einen Denkzettel verpassen, nicht
wahr?”
“Ja, aber nicht du”, sagte Katrin ruhig. “Du hast dich nun selbst ins
Unrecht gesetzt, weil du so wild zugeschlagen hast. Ich schäme mich
für dich.”
“Und ich mich für dich!” erklärte Dolly zu jedermanns Erstaunen.
“Wäre ich die Zimmerälteste, dann würde im lieber dafür sorgen, daß
Mädchen wie Evelyn schwimmen und tauchen lernen und Marlies in
Ruhe lassen. Verstehst du?”
Niemand hatte Dolly vorher je in solcher Wut gesehen.
Alle starrten sie an.
“Komm raus aus dem Wasser”, befahl Katrin. “Los, komm heraus’
Du kannst von Glück sagen, daß dich keine Lehrerin gesehen hat.” Immer noch zitternd, kam Dolly aus dem Wasser. Sie lief dorthin,
wo sie ihr Badelaken abgelegt hatte, und hängte es sich um. Langsam
und mit klopfendem Herzen stieg sie die Klippe hinauf.
Verhaßte Evelyn! Widerliche Katrin! Blödes Möwenfels! Doch bis
sie oben bei der Klippe ankam und das kleine Tor zu den
Schulgebäuden erreichte, war Dollys Wut schon wieder verraucht. Sie
war traurig. Warum hatte sie so gehandelt? Sie hatte sich wirklich
eingebildet, sie könnte ihren Jähzorn zügeln, daß er nie wieder so
aufflammte wie früher, als sie kleiner war.
Sie war von Katrin öffentlich getadelt worden. Niemand hatte ihr
beigestanden, nicht einmal Alice. Sie hatte die Zimmerälteste
angeschrien und sich gegen Evelyn schließlich genauso schlecht
benommen wie Evelyn gegen Marlies, außer daß Evelyn aus purer
Grausamkeit gehandelt, während sie – Dolly – Evelyn nur im Zorn
geschlagen hatte.
Immerhin: Zorn war auch grausam, und deshalb war sie vielleicht
nicht besser als Evelyn.
Es tat ihr nun leid, daß sie Evelyn so behandelt hatte. Das war das
schlimmste bei solchem Jähzorn: Man handelte schnell, ohne
Überlegung, und hinterher schämte man sich immer. Und man fühlte
sich nicht besser, ehe man sich nicht bei dem anderen entschuldigt
hatte – auch wenn man ihn weiterhin aus tiefster Seele verachtete. Im Umkleideraum hörte Dolly jemanden stöhnen, und sie drehte
sich um. Es war Evelyn, die jammernd die Striemen auf ihren Oberschenkeln untersuchte. Dorthin hatte Dolly sie getroffen. Evelyn
hätte am liebsten laut geheult.
Das schreibe ich Mama, dachte sie. Wenn sie bloß diese roten
Striemen sehen könnte – hier erkennt man deutlich alle fünf Finger
von Dollys Hand!
Dolly ging zu ihr. “Evelyn! Mir tut es leid, daß ich dich geschlagen
habe. So bin ich leider.
Ich war so wütend, daß ich mich einfach nicht beherrschen konnte.”
Evelyn war nicht großmütig genug, um solch eine natürliche
Entschuldigung anzunehmen. Mit zurückgeworfenem Kopf sah sie
Dolly giftig an. “Ich will hoffen, daß es dir leid tut”, sagte sie
verächtlich. “Ich werde das alles meiner Mama schreiben. Hätte sie
geahnt, daß sich die Mädchen in Möwenfels so betragen, hätte sie
mich niemals hergeschickt.”
Dolly und Evelyn
Die Mädchen im Bad besprachen aufgeregt die unerhörten Ereignisse. “Wer hätte gedacht, daß die nette Dolly derart heftig werden könnte!”
“Sie durfte Katrin nicht so unverschämt kommen. Das war allerhand von ihr!”
“Katrin, was wirst du unternehmen?” Katrin war jetzt aus dem Wasser heraus. Ihr sonst so ruhiges Gesicht war rot und verwirrt. Bisher hatte sie Dolly sehr gern gemocht – und nun hatte sie in einer einzigen Minute einen ganz anderen Eindruck von ihr bekommen! Auch Alice war betroffen. Sie schüttelte immer noch den Kopf von einer Seite auf die andere, um das Wasser aus den Ohren zu kriegen. Wer hätte bei Dolly solch einen Jähzorn vermutet?
“Ihr
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