Dolly - 04 - Dolly, die Klassensprecherin
Reitpeitsche hoch. Sie hatte sie beim Wettspringen gewonnen und war sehr stolz darauf. Und nun hatte jemand die Peitsche am Stiel entlang aufgeschlitzt! „Ich war heute ausgeritten“, erklärte Conny mit zitternder Stimme. „Ich kam zurück und brachte mein Pferd in den Stall…“
„Zwei Pferde“, verbesserte Will sie. „Deines und auch Ruths, wie ich zufällig gesehen habe.“
„Ich brachte die Pferde in den Stall“, erzählte Conny weiter, „und ließ die Peitsche dort. Als ich zurückkam, um sie zu holen, fand ich sie so!“
„War jemand in den Ställen?“ fragte Dolly.
„Nein. Überhaupt niemand. Abgesehen natürlich von Will. Und von Irmgard und Felicitas und Ruth und mir. Sonst niemand.“
„Nun, dann muß es eine von denen getan haben“, sagte Dolly. „Aber ich kann nicht sagen, wer. Ruth und Will tun das nicht. Meine Schwester Felicitas würde nicht einmal an so etwas denken. Und ich bin ziemlich sicher, daß auch Irmgard es nicht macht, so wenig ich dieses freche kleine Stück leiden kann.“
„Außerdem waren die beiden aus der ersten Klasse schon weg, als wir die Pferde in den Stall führten“, sagte Conny.
„Hast du jemand bemerkt, während du dein Pferd versorgtest, Ruth?“ fragte Dolly verwirrt.
„Sie hat ihr Pferd gar nicht versorgt“, antwortete Conny an ihrer Stelle. „Das mache ich immer. Sie stand dabei und sah über die Pferde weg und würde jeden bemerkt haben, der herumschlich.“
Allen war es ein Rätsel.
Ruth verließ den Raum und kam dann mit ihrer eigenen schönen Peitsche zurück. „Nimm diese hier, Conny“, sagte sie.
„Nein, nein“, wehrte Conny ab. „Dinge wie Radiergummis oder Schuhbänder nehme ich ohne weiteres, aber doch nicht deine schöne Peitsche.“
An diesem Abend war Dolly mit Will allein im Zimmer. „Will“, sagte sie, „bist du ganz sicher, daß heute nachmittag außer dir und den Zwillingen niemand im Stall war?“
„Ja.“
„Weshalb versorgt Conny eigentlich auch Ruths Pferd?“ fragte Dolly. „Ist Ruth denn so faul? Sie überläßt immer alles ihrer Schwester.“
„Nein, faul ist sie nicht“, sagte Will. „Sie ist nur seltsam, ich finde, eine Art Schatten von Conny. So, jetzt muß ich gehen und Donner Zucker bringen. Bis nachher, Dolly.“
Sie ging und ließ Dolly in tiefem Nachdenken zurück. Ihr war ein merkwürdiger Gedanke gekommen. Sie fügte ein Ding ins andere, wie ein Puzzle-Spiel – erinnerte sich an all die Unfreundlichkeiten, die Conny zugefügt worden waren, und auch an alle Freundlichkeiten, mit denen Ruth sich bemüht hatte, die unfreundlichen Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Sie dachte auch an den merkwürdigen Ausdruck, den sie heute auf Ruths Gesicht bemerkt hatte, als Conny Ruths Peitsche nicht annahm.
Und plötzlich wußte sie, wer Conny all diese Bosheiten zugefügt hatte.
Sie stand auf, um Ruth zu suchen. Ja, es war Ruth, die sie suchte und die sie angreifen mußte!
Wo war Ruth? Nicht im Gemeinschaftsraum, nicht im Schlafsaal und nicht im Klassenzimmer…
„Hat jemand Ruth gesehen?“ fragte Dolly, als sie beim Suchen ein paar Mädchen traf. Niemand hatte sie gesehen. Endlich erzählte eine Schülerin der zweiten Klasse, daß Ruth wahrscheinlich in den Gärtnerschuppen neben den Ställen gegangen war.
Dolly lief schnell hin. Vor dem Schuppen, in dem der Gärtner seine Geräte aufbewahrt, hielt sie inne und überlegte, was sie sagen wollte.
Als sie dort stand, hörte sie einen merkwürdigen Laut. Wahrscheinlich war jemand im Schuppen, und es hörte sich an wie Stöhnen. Dolly stieß die Tür auf und sah hinein.
Ganz hinten saß Ruth auf ein paar Säcken. Sie hielt die zerschnittene Peitsche in der Hand. Anscheinend hatte sie versucht, sie zu flicken.
Zuerst bemerkte sie Dolly nicht. Sie legte die Hand vors Gesicht und stöhnte oder schluchzte wieder – Dolly wußte nicht genau, was es war.
„Ruth!“ rief sie und ging hinein. „Ruth, was ist los?“
Erschrocken sprang Ruth auf. Als sie Dolly erkannte, setzte sie sich wieder hin und wandte den Kopf ab. Die zerbrochene Peitsche hielt sie noch in der Hand.
„Ruth“, fragte Dolly und ging auf sie zu. „Warum hast du Connys schöne Peitsche entzweigemacht?“
Ruth sah schnell auf, erstaunt und verstört. „Was meinst du?“ fragte sie. „Ich habe sie doch nicht entzweigemacht. Wer sagt das? Conny etwa?“
„Nein. Niemand. Aber ich weiß, daß du es tatest“, antwortete Dolly. „Und du hast auch all die anderen häßlichen Dinge getan, nicht wahr? Etwas
Weitere Kostenlose Bücher