Dolly - 11 - Hochzeit auf Burg Moewenfels
sich als erste. Dann schob sie die Schüssel zu Agnes hinüber. Agnes ritt der Teufel – sie reichte die Schüssel weiter zu Ulla.
Fräulein Sauer, die gerade Bohnen auf ihren Teller häufte, hatte es sofort entdeckt.
„Was soll das heißen, Agnes!“ schnarrte sie.
„Ich möchte kein Fleisch – ich bringe Hammelfleisch nicht hinunter“, schwindelte Agnes.
„Das möchte ich nicht gehört haben! Was auf den Tisch kommt, wird gegessen! Du nimmst dir sofort ein Stück Fleisch, ohne Widerrede!“
Agnes gehorchte.
„Es ist eine nützliche geistige Übung, uns auch einmal zu etwas zu zwingen, was uns widersteht!“ predigte die Sauergurke, griff nach dem Salzfaß und bedeckte den Inhalt ihres Tellers gleichmäßig mit einer feinen weißen Schicht.
Die Mädchen hielten den Atem an, um nicht sofort loszuprusten. Auffallend ernst und konzentriert senkten sich die Köpfe über die Teller.
Sauergurke griff zu Messer und Gabel. Aus den Augenwinkeln beobachteten die Schülerinnen, wie sich das Messer durch den Fleischbrocken schob, die Gabel aufspießend ergriff, das Messer eine halbe Kartoffel und einen kleinen Berg Bohnen auf den Fleischbrocken türmte, der zu Sauergurkes Mund hinaufwanderte und hinter den schmalen Lippen verschwand.
„Ürxglngrng…“ Fräulein Sauer schien sich der Magen nach oben zu stülpen.
„Verzeihung, wie bitte?“ fragte Agnes mit unschuldigem Augenaufschlag, als hätte Sauergurke sie etwas gefragt.
Aber sie wartete vergeblich auf eine Antwort. Fräulein Sauer kaute und kaute. Der Bissen schien in ihrem Mund anzuschwellen, eine Ewigkeit dauerte es, bis sie es schaffte, ihn hinunterzuschlucken.
Schließlich machte sie eine herrische Bewegung zum Salzfaß hin.
„Möchten Sie das Salz?“ fragte Ulla scheinheilig.
„Das nicht. Das andere!“
Renate reichte das Salzfaß vom unteren Ende des Tisches. Wie nach einem Rettungsanker griff die Sauergurke danach und würzte Hammelfleisch und Bohnen.
Aber nun wurde es noch schlimmer. Der Sauergurke standen Schweißtropfen auf der Stirn, ihre Gesichtsfarbe spielte ins Weißlichgrüne, Tränen traten ihr in die Augen. Sauergurke kaute und kaute. Die Gesichter der Mädchen verschwanden hinter Servietten und Taschentüchern. An den umliegenden Tischen wurde gekichert.
Fräulein Sauer schien kurz vor einer Explosion zu stehen. „Ist Ihnen nicht gut?“ fragte Agnes teilnahmsvoll und griff nach dem Salzfaß. „Verzeihung, aber wenn ich mir das Fleisch nicht tüchtig nachsalze, bringe ich es einfach nicht hinunter.“
Geschickt hielt sie die Öffnungen mit Mittelfinger und Ringfinger zu, während sie so tat, als würze sie ihr Essen nach. Fräulein Sauers Atem ging stoßweise und flatternd. Als Agnes den nächsten Bissen zum Mund führte, hielt sie es nicht mehr aus. Sie preßte sich die Serviette vor den Mund und stürzte hinaus. Die Mädchen des Nordturms – von der Ersten bis zur Sechsten – brachen in schallendes Gelächter aus. Die aus dem West-und dem Ostturm schauten fragend in die Runde, doch das Geheimnis blieb gewahrt – versprochen war versprochen.
Dolly brauchte nicht viel Phantasie, um der Sache auf die Spur zu kommen. Und als sie Vivi den Anschlag auf Sauergurke auf den Kopf zusagte, hielt die es nicht mehr aus und erzählte, was hinter dem eigenartigen Benehmen der Kollegin gesteckt hatte. Dolly amüsierte sich königlich und beschloß, die Geschichte sogleich ihrer Schwester und ihrem Verlobten zu erzählen, unter dem tiefsten Siegel der Verschwiegenheit selbstverständlich.
Sie hatte ohnehin einen Besuch im Möwennest vorgehabt. Fräulein Pott hatte sie gebeten, die freien Nachmittage zu tauschen, da sie einen Termin für einen Besuch beim Zahnarzt nur an Dollys freiem Tag hatte bekommen können. So freute sich Dolly jetzt auf einen gemütlichen Kaffeeklatsch bei Felicitas und ein erfrischendes Bad im Swimming-pool des Möwennestes.
Der alte Bauernhof lag friedlich in der Nachmittagssonne. Vom Reitplatz her hörte man das gleichmäßige Schnauben eines galoppierenden Pferdes. Dort ritt Will auf ihrem Ali Baba und absolvierte ihr tägliches Training.
Dolly beschloß, erst einmal Klaus zu suchen, um ihm von dem unverhofften freien Nachmittag zu erzählen. Später konnte sie dann die Freundinnen aufsuchen und sich bei Felicitas einen guten Kaffee brauen lassen.
Die Wohnungen der unverheirateten Lehrer befanden sich im obersten Stockwerk des Haupthauses: hübsche kleine MansardenAppartements, bestehend aus einem kleinen Wohnraum und einer
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