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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Gewicht an den falschen Stein. Der Stein löste sich, prallte so heftig auf seinen Kopf, daß sein Schädel brach (von seinem Gebiß ganz zu schweigen), und er stürzte wieder hinunter auf den Grund des Brunnens, wo er starb.
    Der wichtigste Punkt war vielleicht - und das ist mir erst viel später klar geworden -, daß sie kein Motiv finden konnten. Natürlich glaubten die Leute im Ort (und bestimmt auch Dr. McAuliffe), wenn ich ihn umgebracht hatte, dann nur, weil ich es satt hatte, von ihm geschlagen zu werden; aber das allein wog nicht schwer genug. Nur Selena und Mr. Pease wußten, was für ein starkes Motiv ich in Wirklichkeit gehabt hatte; aber niemand, nicht einmal der schlaue Dr. McAuliffe, kam auf die Idee, Mr. Pease zu verhören. Und natürlich kam er nicht aus eigenem Antrieb. Hätte er es getan, so wäre unser kleines Gespräch im Chatty Buoy ans Licht gekommen, und er hätte wahrscheinlich großen Ärger mit seiner Bank gehabt; schließlich hatte ich ihn dazu gebracht, das Bankgeheimnis zu brechen.
    Was Selena betrifft, so glaube ich, sie hat mich vor ihr eigenes Gericht gestellt. Von Zeit zu Zeit sehe ich wieder ihre Augen vor mir, so dunkel wie der Ozean kurz vor einem Gewitter, und höre in Gedanken, wie sie mich fragt: Hast du etwas damit zu tun? Hast du, Mamma? Ist es meine Schuld? Bin ich es, die dafür zahlen muß? 
    Ich glaube, sie hat dafür gezahlt - und das ist das Schlimmste daran. Aus dem kleinen Mädchen von der Insel, das nie aus dem Staat Maine rausgekommen war, bis es als Achtzehnjährige zu einem SchwimmWettbewerb nach Boston fuhr, ist eine elegante, erfolgreiche Karrierefrau in New York geworden; vor zwei Jahren stand ein Artikel über sie in der New York Times, habt ihr das gewußt? Sie schreibt für alle möglichen Zeitschriften und findet trotzdem noch die Zeit, mir jede Woche einen Brief zu schreiben - nur, daß die Briefe sich lesen wie Pflichtbriefe, genau so, wie sich ihre Anrufe zweimal im Monat anhören wie Pflichtanrufe. Ich glaube, mit den Anrufen und dem brieflichen Geplauder besticht sie ihr Herz, damit es stillhält, obwohl sie nie mehr kommt, obwohl sie sich innerlich von mir gelöst hat. Ja, ich glaube, sie hat tatsächlich gezahlt; ich glaube, sie, die die wenigste Schuld trifft, hat am meisten gezahlt, und sie zahlt nach wie vor.
    Sie ist jetzt vierundvierzig und hat nie geheiratet, sie ist zu mager, und ich glaube, sie trinkt - ich habe es bei ihren Anrufen mehr als einmal ihrer Stimme angehört. Ich kann mir gut vorstellen, daß sie deshalb nicht mehr nach Hause kommt; sie will nicht, daß ich merke, daß sie trinkt, wie früher ihr Vater getrunken hat. Vielleicht hat sie auch Angst davor, was sie sagen könnte, wenn sie ein Glas zuviel gehabt hat und ich in Reichweite bin. Was sie fragen könnte.
    Aber lassen wir das; das habe ich jetzt alles hinter mir. Ich kam damit durch, das ist das Entscheidende. Wenn da eine Lebensversicherung gewesen wäre, wäre es vielleicht anders gekommen. Das Allerletzte, was ich auf Gottes weiter Welt gebraucht hätte, wäre ein gerissener Versicherungsagent gewesen, zusammen mit diesem gerissenen kleinen schottischen Doktor, der ohnehin schon stocksauer war, wenn er daran dachte, wie eine dumme Inselbewohnerin ihn ausgepunktet hatte. Nein, ich glaube, wenn sie zu zweit gewesen wären, dann hätten sie mich erwischt.
    Also was ist passiert? Nun, ich nehme an, genau das, was in solchen Fällen immer passiert, wenn ein Mord begangen wurde und es nicht rausgekommen ist. Das Leben ging weiter, das ist alles. Niemand tauchte in letzter Minute mit irgendwelchen Informationen auf wie in einem Film. Ich versuchte nicht, noch jemanden zu ermorden, und Gott hat mich nicht mit einem Blitzstrahl erschlagen vielleicht hatte er das Gefühl, es wäre Stromverschwendung, wenn er so etwas wegen einem Typ wie Joe St. George tun würde. Das ist vermutlich Blasphemie, aber es kommt mir trotzdem so vor, als wäre es nichts als die Wahrheit.
    Das Leben ging einfach weiter. Ich ging wieder nach Pinewood und zu Vera. Selena frischte ihre alten Freundschaften auf, als sie im Herbst wieder zur Schule ging, und manchmal hörte ich sie am Telefon lachen. Little Pete traf es schwer, als er es endlich begriffen hatte - und auch Joe Junior. Joey traf es schwerer, als ich erwartet hatte. Er wurde mager und hatte ein paar Alpträume, aber im nächsten Sommer schien er wieder völlig in Ordnung zu sein. Das einzige, das sich während der letzten Monate des Jahres 1963

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