Dolores
Sie hier sitzen, Mrs. St. George«, sagte er. »Wie wär’s, wenn Sie ins Chatty Buoy hinuntergingen und sich dort ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee bestellten? Sie sehen aus, als könnten Sie so etwas brauchen. Ich komme in einer Viertelstunde nach. Nein, sagen wir lieber, in einer halben Stunde.«
»Ich danke Ihnen«, sagte ich. »Ich danke Ihnen vielmals.«
Er seufzte und schob die Papiere wieder zusammen. »Ich muß wohl den Verstand verlieren«, sagte er, dann lachte er ein wenig nervös.
»Nein«, erklärte ich ihm. »Sie helfen einer Frau, die sonst niemanden hat, an den sie sich wenden könnte, das ist alles.«
»Damen in Not zu helfen war schon immer eine Schwäche von mir«, sagte er. »Geben Sie mir eine halbe Stunde. Es kann sogar noch etwas länger dauern.«
»Aber Sie werden kommen?«
»Ja«, sagte er. »Ich werde kommen.«
Er kam tatsächlich, aber es waren eher fünfundvierzig Minuten als eine halbe Stunde, und als er endlich im Buoy auftauchte, war ich ziemlich sicher, daß er mich in der Bredouille sitzenließ. Dann, als er schließlich hereinkam, hatte ich den Eindruck, daß er schlechte Nachrichten hatte. Ich glaubte, es ihm am Gesicht ablesen zu können. Er blieb ein paar Sekunden an der Tür stehen und schaute sich um. Offenbar wollte er sicher sein, daß niemand in dem Restaurant war, der ihm Schwierigkeiten machen konnte, wenn er nach dem Aufstand, den ich in der Bank veranstaltet hatte, mit mir zusammen gesehen wurde. Dann kam er rüber in die Ecknische, in der ich saß, setzte sich mir gegenüber und sagte: »Es ist immer noch auf der Bank. Jedenfalls der größte Teil davon. Etwas mehr als dreitausend Dollar.«
»Gott sei Dank!« sagte ich.
»Ja«, sagte er, »das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, daß das neue Konto nur auf seinen Namen lautet.«
»Natürlich tut es das«, sagte ich. »Schließlich hat er mir keine Vollmacht zum Unterschreiben vorgelegt. Damit hätte er sich sein eigenes Spielchen verdorben.«
»Viele Frauen hätten keine Ahnung gehabt«, sagte er. Er räusperte sich, zupfte an seiner Krawatte, dann läutete die Glocke über der Tür, und er schaute schnell hin, um zu sehen, wer hereinkam. »Viele Frauen unterschreiben alles, was ihr Mann ihnen vorlegt.«
»Nun, ich bin nicht so wie viele Frauen«, sagte ich.
»Das habe ich festgestellt«, sagte er trocken. »Jedenfalls habe ich getan, worum Sie mich gebeten haben. Aber jetzt muß ich zurück in die Bank. Ich wünschte, ich hätte Zeit, einen Kaffee mit Ihnen zu trinken.«
»Wissen Sie«, sagte ich, »das glaube ich nicht so recht.«
»Ich eigentlich auch nicht«, sagte er. Aber er streckte mir die Hand entgegen, so, als wäre ich auch ein Mann, und das empfand ich als eine Art Kompliment. Ich blieb sitzen, bis er gegangen war, und als die Kellnerin kam und fragte, ob ich noch eine Tasse Kaffee wollte, da sagte ich, nein danke, ich hätte schon Sodbrennen von der ersten. Ich hatte tatsächlich Sodbrennen, aber daran war nicht der Kaffee schuld.
Man kann immer etwas finden, worüber man froh sein kann, ganz gleich, wie schwarz alles aussieht, und als ich mit der Fähre zurückfuhr, war ich froh, daß ich noch nichts gepackt hatte; nun brauchte ich wenigstens nicht wieder auszupacken. Und ich war auch froh, daß ich Selena nichts gesagt hatte. Ich hatte es vorgehabt, aber dann hatte ich befürchtet, daß das Geheimnis für sie zu groß sein und sie es einer ihrer Freundinnen erzählen könnte, und dann hätte Joe es womöglich erfahren. Außerdem war mir der Gedanke gekommen, daß sie sich auf die Hinterbeine stellen und sagen könnte, sie wollte nicht mitkommen. Aber das hielt ich für ziemlich unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, wie sie jedesmal zurückwich, wenn Joe in ihre Nähe kam, aber wenn man es mit einem Teenager zu tun hat, ist so ziemlich alles möglich.
Es gab also ein paar Dinge, über die ich froh sein konnte, aber ich hatte keine Vorstellung davon, wie es weitergehen sollte. Ich konnte kaum das Geld von unserem gemeinsamen Sparkonto abheben; es waren nur ungefähr vierundsechzig Dollar darauf, und unser Girokonto war ein noch größerer Witz - wenn es nicht ohnehin schon überzogen war, dann fehlte jedenfalls nicht viel daran. Aber ich konnte nicht einfach die Kinder nehmen und verschwinden, denn wenn ich das tat, würde Joe das Geld aus purer Gehässigkeit verjubeln. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Nach dem, was Mr. Pease mir erzählte, hatte er
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