Dolores
Aufsatzthemen vergeben wurden. Und nun gib ihn mir bitte zurück. Ich werde ihn in den Herd stecken.«
»Nein, das wirst du nicht tun, Sunny Jim«, sagte ich, »und wenn du wissen willst, wie es sich anfühlt, wenn man von seiner eigenen Mom über das Verandageländer geschubst wird und im Vorgarten landet, dann brauchst du nur zu versuchen, ihn mir wegzunehmen.«
Er zuckte die Achseln. Auch das tat er wie Joe, aber sein Lächeln wurde breiter und herzlicher als alles, was sein Vater je in seinem Leben zustandegebracht hatte, falls er überhaupt einmal lächelte. »Okay«, sagte er. »Aber paß bitte auf, daß er ihn nicht in die Finger kriegt.«
Ich sagte, das würde ich tun, und er zog ab, um mit seinem Freund Marky Gigeure Basketball zu spielen. Ich sah ihm nach, hielt seinen Aufsatz in der Hand und dachte nach über das, worüber wir gerade geredet hatten. Vor allem dachte ich daran, daß er die einzige Eins plus seiner Lehrerin im Laufe von zwanzig Jahren bekommen hatte, indem er als Thema für seinen Aufsatz den Präsidenten gewählt hatte, den sein Vater am meisten haßte.
Und dann war da noch Little Pete, der immer den Hintern schwenkend und mit vorgeschobener Unterlippe herumstolzierte, andere Leute Wichser nannte und an drei von fünf Tagen nachsitzen mußte, weil er sich geprügelt und einem anderen kleinen Jungen einen solchen Hieb an den Kopf versetzt hatte, daß dessen Ohr blutete. Was sein Vater an diesem Abend sagte, war: »Ich glaube, wenn der dich das nächste Mal sieht, wird er schlau sein und einen großen Bogen um dich machen, was, Petie?« Ich sah, wie die Augen des Jungen aufleuchteten, als sein Vater das sagte, und ich sah, wie liebevoll er ihn ungefähr eine Stunde später ins Bett brachte. In diesem Herbst war es, als könnte ich alles sehen bis auf das eine, das ich am liebsten gesehen hätte - eine Möglichkeit, von ihm loszukommen.
Ahnt ihr, wer mir schließlich die Lösung zeigte? Vera. So ist es. Vera Donovan höchstpersönlich. Sie war die einzige, die wußte, was ich getan habe, jedenfalls bis heute. Und sie war es, die mir die Idee eingab.
Während der ganzen fünfziger Jahre waren die Donovans die verläßlichsten Sommergäste - sie erschienen am Memorial Day-Wochenende, blieben den ganzen Sommer auf der Insel und kehrten am Labor Day -Wochenende nach Baltimore zurück. Ich weiß nicht, ob man die Uhr nach ihnen hätte stellen können, aber ich bin sicher, daß es möglich gewesen wäre, den Kalender nach ihnen zu stellen. Am Mittwoch nach ihrer Abreise ging ich immer mit einer Putzkolonne hin, und wir machten das Haus von vorn bis hinten sauber, zogen die Betten ab, verhängten die Möbel, sammelten die Spielsachen der Kinder ein und verstauten die Puzzles unten im Keller. Ich glaube, um 1960, als Mr. Donovan starb, müssen an die dreihundert Puzzles im Keller gelegen haben, die mit Pappen dazwischen aufgestapelt waren und schimmelig wurden. Ich konnte einen so gründlichen Hausputz veranstalten, weil ich ziemlich sicher sein konnte, daß vor dem Memorial Day-Wochenende im nächsten Jahr niemand einen Fuß ins Haus setzen würde.
Es gab natürlich ein paar Ausnahmen; in dem Jahr, in dem Little Pete geboren wurde, kamen sie und feierten Thanksgiving auf der Insel (das Haus war winterfest, was uns merkwürdig vorkam, aber schließlich sind die meisten Sommergäste merkwürdige Leute), und ein oder zwei Jahre später kamen sie zu Weihnachten. Ich erinnere mich, wie die Donovan-Kinder am Nachmittag des Weihnachtsfeiertages Selena und Joe Junior zum Schlittenfahren mitnahmen und wie Selena nach drei Stunden auf dem Sunrise Hill heimkam mit Backen so rot wie Äpfel und Augen, die wie Diamanten funkelten. Sie kann damals erst acht oder neun gewesen sein, aber ich bin ziemlich sicher, daß sie bis über beide Ohren in Donald Donovan verknallt war.
Also verbrachten sie in einem Jahr Thanksgiving auf der Insel und Weihnachten in einem anderen, aber das war auch alles. Sie waren Sommergäste - zumindest drei von den vieren. Die Vierte war Vera. Sie kam von außerhalb, aber schließlich wurde sie ebenso eine Frau von der Insel, wie ich eine bin. Vielleicht sogar noch mehr.
1961 fing alles so an wie in all den anderen Jahren, obwohl ihr Mann im Jahr zuvor bei diesem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war - sie und die Kinder erschienen am Memorial Day, und Vera ging ans Werk und puzzelte, sammelte Muscheln, rauchte Zigaretten und hatte ihre speziellen Vera Donovan-Cocktail-Stunden, die
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