Dolores
Partyservice inzwischen weitergezogen waren auf die Island Princess, um die Vorbereitungen für den zweiten Akt zu treffen. Vera selbst verschwand ziemlich spät, so gegen viertel nach zwölf; sie fuhr die letzten drei oder vier ihrer Gäste in dem alten Ford Ranch Wagon, den sie auf der Insel benutzte, selbst runter zum Anleger. Ich half bis gegen eins beim Abwaschen, und dann sagte ich zu Gail Lavesque, die an diesem Tag mehr oder weniger meine rechte Hand war, daß ich ein bißchen Kopfschmerzen hätte und mich nicht wohl fühlte und daß ich jetzt, wo das schlimmste Chaos beseitigt war, nach Hause ginge. Auf dem Weg nach draußen nahm mich Karen Jolander in die Arme und bedankte sich bei mir. Sie weinte schon wieder. Weiß der Himmel, in all den Jahren, in denen ich sie gekannt habe, hatte dieses Mädchen schon immer ganz nahe am Wasser gebaut.
»Ich weiß nicht, wer dir irgendwas erzählt hat, Karen«, sagte ich, »aber es gibt nichts, wofür du mir danken müßtest - ich habe überhaupt nichts getan.«
»Niemand hat mir irgendwas erzählt«, sagte sie, »aber ich weiß, daß Sie es waren, Missus St. George. Niemand außer Ihnen traut sich, dem alten Drachen Widerworte zu geben.«
Ich gab ihr einen Kuß auf die Wange und sagte ihr, meiner Meinung nach hätte sie nichts zu befürchten, solange sie keine Teller mehr fallen ließ. Dann machte ich mich auf den Heimweg.
Ich erinnere mich an alles, was passiert ist, Andy - an alles -, aber von dem Moment an, an dem ich von Veras Auffahrt auf den Center Drive hinaustrat, ist es so etwas wie die Erinnerung an den deutlichsten Traum, den man je in seinem Leben gehabt hat. Ich dachte immer wieder: Ich gehe heim, um meinen Mann umzubringen, ich gehe heim, um meinen Mann umzubringen -, so, als könnte ich es in meinen Kopf reinhämmern wie einen Nagel in ein dickes, hartes Brett aus Teak oder Mahagoni, wenn ich es nur lange genug durchhielt. Aber wenn ich heute darüber nachdenke, dann glaube ich, daß es die ganze Zeit nur in meinem Kopf war. Es war mein Herz, das nicht begreifen konnte.
Obwohl es erst ungefähr viertel nach eins war, als ich in den Ort kam, und es noch rund drei Stunden dauern würde, bis die Sonnenfinsternis begann, waren die Straßen so leer, daß es fast gespenstisch war. Ich mußte an diese kleine Stadt unten im Süden des Staates denken, von der man sich erzählt, daß da niemand lebt. Dann schaute ich zum Dach des Harborside empor, und das war noch gespenstischer. Es mußten schon jetzt an die hundert Leute oder mehr da oben sein, die herumwanderten und den Himmel musterten wie Farmer am Tag der Aussaat. Ich schaute den Hügel runter zum Anleger, und da sah ich die Princess, mit ausgelegter Laufplanke, und das Autodeck voller Menschen anstelle von Wagen. Sie wanderten herum mit Drinks in den Händen und veranstalteten eine große Cocktailparty im Freien. Auf dem Anleger selbst wimmelte es von Leuten, und an die fünfhundert kleine Boote - jedenfalls mehr, als ich je auf einmal gesehen habe - waren bereits draußen auf dem Wasser, wo sie vor Anker lagen und warteten. Und jeder Mensch, den ich sah, ob auf dem Hoteldach oder dem Anleger oder auf der Princess, schien eine Sonnenbrille aufzuhaben und entweder einen Finsternisbetrachter mit geschwärztem Glas oder eine Reflektorbox in der Hand zu halten. Weder früher noch später hat es auf der Insel einen Tag wie diesen gegeben, und ich glaube, er wäre mir selbst dann wie ein Traum vorgekommen, wenn ich nicht vorgehabt hätte, was ich vorhatte.
Der Laden war offen, trotz der Sonnenfinsternis - ich glaube, dieser Kerl würde selbst am Morgen des Jüngsten Tages noch versuchen, Geschäfte zu machen. Ich ging rein und kaufte eine Flasche Johnnie Walker Red, dann ging ich die Hast Lane runter zu unserem Haus. Dort gab ich als erstes Joe die Flasche - ich machte keine große Sache daraus, sondern warf sie ihm einfach in den Schoß. Dann ging ich ins Haus und holte die Tüte mit den Finsternisbetrachtern und den Reflektorboxen, die Vera mir gegeben hatte. Als ich wieder rauskam auf die Hinterveranda, hielt er die Flasche Scotch hoch, um ihre Farbe zu betrachten.
»Willst du das Zeug trinken oder nur bewundern?« fragte ich ihn.
Er sah mich an, irgendwie argwöhnisch, und sagte: »Was zum Teufel soll das, Dolores?«
»Das ist ein Geschenk zur Feier der Sonnenfinsternis«, sagte ich. »Wenn du es nicht willst, kann ich es jederzeit in den Ausguß kippen.«
Ich tat so, als wollte ich nach der Flasche
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