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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Sprung gehabt hatte. Karen weinte nicht, als sie die Auffahrt hinunterging, aber es war deutlich zu sehen, daß sie die Tränen nur zurückhielt, bis Vera sie nicht mehr sehen konnte.
    Nun, ich ging hin und tat etwas Verrücktes - aber ihr müßt bedenken, daß ich inzwischen selbst ziemlich angespannt war. Ich schaffte es, wenigstens so lange zu warten, bis Karen außer Sicht war, doch dann machte ich mich auf die Suche nach Vera. Ich fand sie im Hintergarten. Sie hatte sich ihren Strohhut so auf den Kopf gerammt, daß die Krempe ihre Ohren berührte, und sie fuchtelte mit der Gartenschere herum, daß man hätte meinen können, sie wäre Madame Dufarge, die Köpfe abhackte, und nicht Vera Donovan beim Schneiden von Rosen für das Wohnzimmer und das Eßzimmer.
    Ich ging schnurstracks auf sie zu und sagte: »Das war eine Gemeinheit, die Sie sich da geleistet haben, dieses Mädchen hinauszuwerfen.«
    Sie richtete sich auf und bedachte mich mit ihrem herablassenden Dame-des-Hauses-Blick. »Finden Sie? Ich bin wirklich glücklich, Ihre Meinung zu hören, Dolores. Ich bin ganz versessen darauf; jeden Abend, wenn ich zu Bett gegangen bin, liege ich im Dunkeln da, denke über den vergangenen Tag nach und stelle mir bei jedem Ereignis, an das ich mich erinnere, immer dieselbe Frage: ›Was hätte Dolores St. George getan?‹«
    Das machte mich noch wütender, als ich es je gewesen bin. »Ich kann Ihnen eines sagen, das Dolores Claiborne nicht getan hätte«, sagte ich, »und das ist, es andere Leute ausbaden zu lassen, wenn man sauer oder aus irgendeinem Grund enttäuscht ist. Wahrscheinlich habe ich dazu nicht genug von einem arroganten Luder an mir.«
    Ihr Unterkiefer sackte herab, als hätte jemand die Schrauben rausgezogen, die ihren Mund geschlossen hielten. Ich bin ziemlich sicher, daß dies das erste Mal war, daß ich sie wirklich verblüffte, und ich machte mich schleunigst davon, bevor sie sehen konnte, was für eine Angst ich hatte. Als ich in die Küche kam, zitterten mir die Beine so sehr, daß ich mich hinsetzen mußte, und ich dachte, du bist verrückt, Dolores, ihr so auf die Zehen zu treten. Ich stand auf, um einen Blick durch das Fenster über dem Ausguß zu werfen, aber sie wendete mir den Rücken zu; Rosen fielen in ihren Korb wie tote Soldaten mit blutigen Köpfen.
    Ich machte mich fertig zum Heimgehen an diesem Nachmittag, als sie plötzlich hinter mir stand und sagte, sie müßte mit mir reden. Mir war, als rutschte mir das Herz in die Schuhe. Ich zweifelte nicht im geringsten daran, daß meine Stunde gekommen war - sie würde sagen, daß sie in Zukunft auf meine Dienste verzichtete, würde mir einen letzten Blick zuwerfen, und dann würde ich meines Weges gehen, diesmal für immer. Man hätte meinen sollen, es wäre eine Erlösung gewesen, von ihr loszukommen, und in gewisser Hinsicht wäre es das auch wohl gewesen; trotzdem schmerzte es. Ich war sechsunddreißig, hatte schwer gearbeitet, seit ich sechzehn war, und ich war noch nie irgendwo vor die Tür gesetzt worden. Aber es gibt gewisse Dinge, gegen die man Front machen muß, und ich versuchte nach Leibeskräften, genau das zu tun, als ich mich umdrehte, um sie anzusehen.
    Aber als ich ihr Gesicht sah, da wußte ich, daß sie nicht gekommen war, um mich rauszuwerfen. Das ganze Makeup, das sie am Morgen getragen hatte, war abgewaschen, und die Art, wie ihre Augenlider geschwollen waren, ließ mich vermuten, daß sie entweder ein Schläfchen gehalten oder in ihrem Zimmer geweint hatte. Sie hielt eine braune Einkaufstüte in den Armen und streckte sie mir entgegen. »Da«, sagte sie.
    »Was ist da drin?« fragte ich.
    »Zwei Finsternisbetrachter und zwei Reflektorboxen«, sagte sie. »Ich dachte, Sie und Joe hätten sie gern. Ich habe zufällig…« Sie hustete in ihre geballte Faust, bevor sie mir wieder in die Augen schaute. Eines habe ich an ihr immer bewundert, Andy - ganz gleich, was sie sagte und wie schwer es ihr fiel, sie schaute einen an, wenn sie es sagte. »Ich habe zufällig von beiden zwei zuviel.« 
    »Oh?« sagte ich. »Tut mir leid, das zu hören.«
    Sie wischte es beiseite, als wäre es eine Fliege, dann fragte sie mich, ob ich es mir anders überlegt hätte und doch den Tag mit ihr und ihren Gästen auf der Fähre verbfingen wollte.
    »Nein«, sagte ich. »Ich denke, ich werde auf unserer Veranda die Beine hochlegen und sie mir mit Joe von dort aus ansehen. Oder ich gehe runter zum East Hemd, wenn er unausstehlich werden

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