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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sollte.«
    »Da wir gerade von unausstehlich reden«, sagte sie, wobei sie mich immer noch direkt anschaute, »ich möchte mich entschuldigen für heute morgen - und fragen, ob Sie bei Mabel Jolander vorbeischauen und ihr sagen können, ich hätte es mir anders überlegt.«
    Das zu sagen, kostete sie eine Menge Überwindung, Andy - du hast sie nicht so gekannt wie ich, also mußt du es mir einfach glauben, aber es kostete sie eine verdammt große Menge Überwindung. Wenn es darum ging, sich zu entschuldigen, war Vera Donovan eine ziemliche Abstinenzlerin.
    »Das will ich gern tun«, sagte ich. Ich hätte fast die Hand ausgestreckt und sie berührt, aber dann ließ ich es. »Aber es ist Karen, nicht Mabel. Mabel hat vor sechs oder sieben Jahren hier gearbeitet. Sie lebt jetzt in New Hampshire, sagt ihre Mutter - sie arbeitet für die Telefongesellschaft und steht sich recht gut.«
    »Dann also Karen«, sagte sie. »Sagen Sie ihr, sie kann wiederkommen. Sagen Sie ihr nur, ich hätte es mir anders überlegt, Dolores, und kein Wort mehr. Ist das klar?« 
    »Ja«, sagte ich. »Und danke für die Finsternis-Sachen. Ich bin sicher, sie werden uns gute Dienste leisten.« 
    »Gern geschehn«, sagte sie. Ich öffnete die Tür, um hinauszugehen, und sie sagte: »Dolores?«
    Ich schaute über die Schulter zurück, und sie bedachte mich mit so einem merkwürdigen kleinen Nicken, als wüßte sie Dinge, die sie eigentlich nicht wissen durfte. »Manchmal muß man ein arrogantes Luder sein, wenn man überleben will«, sagte sie. »Ein Luder zu sein, ist manchmal das einzige, woran eine Frau sich festhalten kann.« Und dann machte sie mir die Tür vor der Nase zu aber sanft. Sie knallte sie nicht ins Schloß.
    Und damit wären wir beim Tag der Sonnenfinsternis angekommen, und wenn ich euch erzählen soll, was passierte in allen Einzelheiten -, dann werde ich es nicht trocken tun. Ich habe jetzt meiner Uhr nach fast zwei Stunden lang ununterbrochen geredet, lange genug, um sämtliches Öl in jedermanns Getriebe zu verbrennen, und ich bin immer noch lange nicht fertig. Also laß dir eins gesagt sein, Andy - entweder du trennst dich von einem Schluck von dem Jim Beam in deiner Schreibtischschublade, oder wir machen für heute Schluß. Wie ist es?
    Besten Dank. Den habe ich jetzt gebraucht! Nein, stell die Flasche wieder weg. Einer reicht, um die Pumpe zu füllen; zwei würden womöglich die Rohre verstopfen.
    So - und nun kann es weitergehen.
    Als ich am Abend des Neunzehnten schlafen ging, war ich so nervös, daß ich mich beinahe übergeben hätte. Im Radio hatten sie gesagt, daß mit Regen zu rechnen wäre. Ich war so damit beschäftigt gewesen, zu planen, was ich vorhatte, und meinen ganzen Mut zusammenzunehmen, daß mir der Gedanke an Regen überhaupt nicht gekommen war. Ich werde mich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere wälzen, dachte ich, als ich mich hinlegte, und dann dachte ich: Nein, das wirst du nicht tun, Dolores, und ich werde dir auch sagen, warum nicht du kannst am Wetter nichts ändern, und es spielt ohnehin keine Rolle. Du weißt, daß du vorhast, ihn umzubringen, auch wenn es den ganzen Tag Bindfäden regnet. Du bist zu weit gegangen, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Und das wußte ich tatsächlich, also machte ich die Augen zu und schlief auf der Stelle ein.
    Samstag - der zwanzigste Juli 1963 - begann schwül und bewölkt. Im Radio hieß es, es würde wahrscheinlich doch nicht regnen, abgesehen vielleicht von ein paar Gewitterschauern am späten Abend. Aber es würde wahrscheinlich fast den ganzen Tag bewölkt sein, und die Chancen, daß die Orte an der Küste die Sonnenfinsternis beobachten konnten, standen nicht besser als fünfzig zu fünfzig.
    Trotzdem hatte ich das Gefühl, als wäre mir eine schwere Last von den Schultern gefallen, und als ich mich auf den Weg zu Vera machte, um beim Servieren des großen Brunch-Buffets zu helfen, das sie vorgesehen hatte, war ich ganz ruhig und machte mir keine Sorgen mehr. Es spielte wirklich keine Rolle, ob es bewölkt war oder nicht; es würde nicht einmal eine Rolle spielen, wenn es hin und wieder einen Schauer gab. Solange es nicht in Strömen goß, würden die Hotel-Leute auf dem Dach und Veras Gäste draußen auf dem Wasser sein, und alle würden hoffen, daß die Wolken so weit aufrissen, daß sie einen Blick auf das werfen konnten, was zu ihren Lebzeiten nicht wieder vorkommen würde - jedenfalls nicht in Maine. Die Hoffnung ist eine mächtige

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