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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Schließlich war es der letzte Schnaps, den er je trinken würde. Auch die Anonymen Alkoholiker würde er nicht mehr brauchen. Nicht da, wo er hingehen würde. 
    Das war der längste Nachmittag in meinem Leben und auch der seltsamste. Da war er, saß auf der Veranda in seinem Schaukelstuhl, hielt in einer Hand die Zeitung und einen Drink in der anderen und schwadronierte durch das offene Küchenfenster zu mir herein über irgendwas, das die Demokraten unten in Augusta vorhatten. Er hatte völlig vergessen, daß er herausbekommen wollte, worüber ich glücklich war, und die Sonnenfinsternis hatte er auch vergessen. Ich war in der Küche, machte ihm ein Sandwich, summte vor mich hin und dachte: Mach es gut, Dolores - tu ein paar von den roten Zwiebeln darauf, die er so gern ißt, und gerade so viel Senf, daß es richtig pikant ist. Mach es gut, weil es das Letzte ist, was er jemals essen wird.
    Von da aus, wo ich stand, konnte ich den Holzschuppen sehen und den weißen Felsbrocken und den Rand des Brombeergestrüpps. Das Taschentuch, das ich an einen der Sträucher gebunden hatte, war noch da; auch das konnte ich sehen. Es flatterte im Wind, und jedesmal, wenn es das tat, dachte ich an diese morsche Brunnenabdeckung direkt darunter.
    Ich weiß noch, wie an diesem Nachmittag die Vögel sangen, und daß ich hören konnte, wie sich die Leute draußen auf dem Wasser gegenseitig anriefen, mit winzigen und weit entfernten Stimmen - sie hörten sich an wie Stimmen im Radio. Ich kann mich sogar erinnern, was ich summte: Amazing Grace, how sweet the sound. Ich summte weiter, während ich mir meine Cracker mit Käse zurechtmachte (mir lag so wenig daran wie einem Huhn an einer Fahne, aber ich wollte nicht, daß Joe mich fragte, weshalb ich nichts aß).
    Es muß so ungefähr viertel nach zwei gewesen sein, als ich auf die Veranda zurückkam. Mit der einen Hand balancierte ich ein Tablett wie eine Kellnerin, in der anderen Hand hatte ich die Tüte, die Vera mir gegeben hatte. Der Himmel war nach wie vor bedeckt, aber man konnte sehen, daß er sich schon kräftig aufgehellt hatte. Das war eine gute kleine Mahlzeit, wie sich herausstellte. Joe war nicht der Mann, der Komplimente machte, aber an der Art, wie er seine Zeitung hinlegte und das Sandwich betrachtete, während er es aß, konnte ich sehen, daß es ihm schmeckte. Mir fiel etwas ein, das ich einmal in einem Buch gelesen oder in einem Film gehört hatte: »Der zum Tode Verurteilte verzehrte eine herzhafte Mahlzeit.« Nachdem mir dieser Satz eingefallen war, konnte ich ihn einfach nicht wieder loswerden.
    Das hinderte mich jedoch nicht daran, mich über mein eigenes Essen herzumachen, nachdem ich erst einmal angefangen hatte. Ich aß weiter, bis auch der letzte Crakker mit Käse verschwunden war, und dazu trank ich eine ganze Flasche Pepsi. Ein- oder zweimal ging mir die Frage durch den Kopf, ob Henker an den Tagen, an denen sie ihren Job erledigen müssen, guten Appetit haben. Es ist schon seltsam, auf was für verrückte Gedanken man kommt, wenn man sich darauf vorbereitet, sowas zu unternehmen.
    Gerade als wir mit dem Essen fertig waren, kam die Sonne aus den Wolken. Ich dacht e an das, was Vera am Morgen zu mir gesagt hatte, und sah auf die Uhr. Es war drei Uhr, auf die Minute genau. Ungefähr um diese Zeit fuhr Dave Pelletier - er trug damals auf der Insel die Post aus - in den Ort zurück, als wäre ihm der Teufel auf den Fersen, und zog einen langen Hahnenschwanz von Staub hinter sich her. Ich habe bis lange nach Einbruch der Dunkelheit keinen weiteren Wagen auf der East Lane gesehen.
    Ich stellte die Teller und meine leere Pepsi-Flasche auf das Tablett, und bevor ich aufstehen konnte, hatte Joe etwas getan, was seit Jahren nicht mehr vorgekommen war: er legte mir seine Hände ins Genick und gab mir einen Kuß. Ich habe schon bessere bekommen; sein Atem bestand nur aus Schnaps und Zwiebeln und Salami, und er war unrasiert, aber ein Kuß war es trotzdem, und es war nichts Gemeines oder Halbherziges oder Gereiztes daran. Es war einfach ein netter Kuß, und ich konnte mich nicht erinnern, wann er mir das letzte Mal einen gegeben hatte. Ich machte die Augen zu und ließ ihn. Daran erinnere ich mich - wie ich die Augen zumachte und seine Lippen auf meinen fühlte und die Sonne auf meiner Stirn. Das eine war so warm und nett wie das andere.
    »Das war nicht übel, Dolores«, sagte er, was für ihn so ziemlich das größte Lob war.
    Da gab es eine Sekunde, in der ich

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