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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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mich selbst davon überzeugt hatte, daß er auf derselben Schulter lag. Und einmal glaubte ich zu sehen, wie sein Fuß sich bewegte, aber was sich bewegt hatte, war höchstwahrscheinlich nur ein Schatten gewesen. Es gab eine Menge bewegte Schatten da unten, weil die Hand, die die Lampe hielt, nicht gerade ruhig war; das kann ich euch versichern.
    Während ich da hockte mit zurückgebundenem Haar und wahrscheinlich aussah wie die Lady auf den White RockEtiketten, überkam mich ein ganz merkwürdiger Drang mir war, als sollte ich mich einfach auf den Knien vorlehnen, bis ich in den Brunnen fiel. Man würde mich bei ihm finden - nicht gerade ein ideales Ende, soweit es mich betraf, aber zumindest würde man mich nicht in seinen Armen finden -, und ich würde nicht ständig mit der Vorstellung aufwachen, daß er bei mir im Zimmer war, oder das Gefühl haben, ich müßte mit der Lampe hinauslaufen und mich vergewissern, daß er immer noch tot war.
    Dann meldete sich Vera wieder zu Wort, aber diesmal war die Stimme tatsächlich in meinem Kopf. Das weiß ich, genau so, wie ich weiß, daß sie mir beim ersten Mal direkt ins Ohr gesprochen hatte. Das einzige, wo du reinfällst, ist dein Bett, erklärte mir diese Stimme. Sieh zu, daß du ein bißchen Schlaf bekommst, und wenn du aufwachst, ist die Sonnenfinsternis vorbei. Du wirst überrascht sein, um wieviel besser die Dinge aussehen, wenn die Sonne wieder scheint.
    Das hörte sich an wie ein guter Rat, und ich machte mich daran, ihn zu befolgen. Aber ich verschloß beide Haustüren, und bevor ich wirklich ins Bett ging, tat ich etwas, was ich weder vorher noch nachher je getan habe: ich keilte einen Stuhl unter die Türklinke. Ich schäme mich, das zuzugeben - meine Wangen fühlen sich ziemlich heiß an, was wahrscheinlich bedeutet, daß ich rot geworden bin -, aber es muß geholfen haben, denn ich bin in der Sekunde eingeschlafen, in der ich den Kopf aufs Kissen legte. Als ich die Augen das nächste Mal aufmachte, fiel helles Tageslicht durchs Fenster. Vera hatte gesagt, ich könnte den Tag frei haben - sie hatte gesagt, Gail Lavesque könnte sich darum kümmern, daß das Haus nach der großen Party, die sie für den Abend des Zwanzigsten geplant hatte, wieder in Ordnung gebracht würde - und darüber war ich froh.
    Ich stand auf, ging wieder unter die Dusche und zog mich dann an. Ich brauchte eine halbe Stunde dafür, weil ich so kaputt war. Vor allem mein Rücken machte mir zu schaffen; das war mein schwacher Punkt seit dem Abend, an dem Joe mir dieses Holzscheit in die Nieren geschlagen hatte, und ich bin ziemlich sicher, daß ich ihn mir wieder gezerrt hatte, zuerst, als ich mich anstrengte, um den Stein, den ich ihm auf den Schädel gehauen hatte, aus der Erde rauszukriegen, und dann, als ich ihn über den Kopf hochstemmte. Was immer es war, es tat verdammt weh, das kann ich euch versichern.
    Als ich endlich angezogen war, ließ ich mich in dem hellen Sonnenschein am Küchentisch nieder, trank eine Tasse schwarzen Kaffee und dachte an die Dinge, die nun zu tun waren. Es waren nicht viele, obwohl nichts so gelaufen war, wie es eigentlich hätte laufen sollen, aber sie mußten richtig getan werden; wenn ich etwas vergaß oder übersah, landete ich im Knast. Joe St. George war nicht sonderlich beliebt gewesen auf Little Tall, und es gab nicht viele Leute, die mir aus dem, was ich getan hatte, einen Vorwurf gemacht hätten, aber dafür, daß man seinen Mann umbringt, wird einem nun einmal nicht eine Medaille angesteckt oder eine Parade veranstaltet, auch wenn er ein nichtsnutziges Stück Scheiße gewesen ist.
    Ich goß mir eine frische Tasse Kaffee ein und ging auf die Veranda hinaus, um ihn dort zu trinken. Beide Reflektorboxen und einer der Betrachter steckten wieder in der Tüte, die Vera mir gegeben hatte. Die Scherben von dem anderen Betrachter lagen noch da, wo sie gelegen hatten, als Joe plötzlich aufgesprungen war und er von seinem Schoß gerutscht und auf dem Verandaboden zerbrochen war. Ich dachte eine ganze Weile darüber nach, ob ich die Scherben auffegen sollte oder nicht. Schließlich ging ich hinein, holte Handfeger und Kehrschaufel und fegte sie auf. Ich war zu dem Schluß gekommen, daß es, weil ich so bin, wie ich bin, und so viele Leute auf der Insel wußten, wie ich bin, mehr Verdacht erregen würde, wenn ich sie liegen ließ. 
    Anfangs dachte ich daran, zu behaupten, ich hätte Joe an diesem Nachmittag überhaupt nicht gesehen. Ich wollte den Leuten

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