Dolores
Tatsache, daß ich, um sie loszuwerden, hinausgehen und Joe noch einmal ansehen mußte. Aber ob mir etwas behagte oder nicht, spielte jetzt keine Rolle mehr.
Ich machte mir Sorgen über den Zustand, in dem sich die Brombeersträucher befinden mochten, aber sie waren nicht so niedergetrampelt, wie ich befürchtet hatte; die meisten hatten sich schon wieder aufgerichtet. Wahrscheinlich würden sie, wenn ich Joe als vermißt meldete, wieder so aussehen wie immer.
Ich hatte gehofft, daß der Brunnen bei Tageslicht nicht ganz so unheimlich aussehen würde, aber er tat es. Das Loch in der Mitte der Abdeckung sah sogar noch gespenstischer aus. Jetzt, da ein paar der Bretter beiseitegezerrt waren, sah es nicht mehr ganz so sehr wie ein Auge aus, aber nicht einmal das half. Anstatt wie ein Auge sah es aus wie eine leere Augenhöhle, in der etwas so stark verrottet war, daß es schließlich ganz rausgefallen war. Und ich roch diesen feuchten Kupfergeruch. Dabei mußte ich an das Mädchen denken, das ich vor meinem inneren Auge gesehen hatte, und ich fragte mich, was sie an diesem Morgen tun mochte.
Ich wollte kehrtmachen und ins Haus zurückkehren, aber statt dessen trat ich an den Brunnen heran, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Ich wollte den nächsten Teil so schnell wie möglich hinter mich bringen - und nicht zurückblicken. Was ich von jetzt an tun mußte, Andy, war, an meine Kinder denken und nach vorn schauen, ohne Rücksicht auf Verluste.
Ich hockte mich hin und schaute hinunter. Joe lag immer noch so da mit den Händen im Schoß und dem Kopf auf einer Schulter. Da waren Käfer, die auf seinem Gesicht rumkrochen, und als ich sie sah, wurde mir endgültig klar, daß er tot war. Ich streckte die Hand mit der Flasche aus, die ich mit einem Taschentuch um den Hals hielt - nicht wegen der Fingerabdrücke, ich mochte sie nur einfach nicht anfassen - und ließ sie fallen. Sie landete im Schlamm neben ihm, zerbrach aber nicht. Aber die Käfer ergriffen die Flucht; sie krochen an seinem Hals herunter und in den Kragen seines Hemdes. Das werde ich nie vergessen.
Ich wollte gerade aufstehen und gehen - beim Anblick der Käfer, die sich in Sicherheit bringen wollten, war mir wieder schlecht geworden -, als mein Blick auf die Bretter fiel, die ich losgerissen hatte, als ich das erste Mal runterschauen wollte. Es empfahl sich nicht, sie so liegen zu lassen; wenn ich es tat, würden sie Anlaß zu einer Menge Fragen geben.
Ich dachte kurz über sie nach, und dann, als mir klar wurde, daß der Vormittag verging und jederzeit jemand vorbeikommen konnte, um entweder über die Finsternis oder über Veras große Party zu reden, sagte ich mir, zum Teufel damit, und kippte sie in den Brunnen. Dann kehrte ich ins Haus zurück. Arbeitete mich ins Haus zurück, sollte ich besser sagen - an einer ganzen Menge Dornen hingen Fetzen von meinem Kleid und meinem Unterrock, und ich sammelte so viele von ihnen ein, wie ich konnte. Später am Tage ging ich noch einmal hinaus und zupfte die drei oder vier ab, die mir beim ersten Mal entgangen waren. Da waren auch kleine Flauschfetzen von Joes Flanellhemd, aber die ließ ich hängen. Soll Garrett Thibodeau doch etwas draus machen, wenn er kann, dachte ich. »Soll wer auch immer etwas draus machen, wenn er kann. Es wird auf jeden Fall so aussehen, als wäre er besoffen gewesen und dann in den Brunnen gefallen, und bei dem Ruf, in dem Joe hier steht, spricht wahrscheinlich jeder Schluß, zu dem sie kommen, für mich.
Aber diese kleinen Stoffetzen landeten nicht bei den Scherben und dem J ohnnie Walker Verschluß in der Mülltonne; ich warf sie später am Tage ins Meer. Ich hatte gerade den Hof überquert und war im Begriff, die Verandastufen hinaufzusteigen, als mir etwas einfiel. Joe hatte den Streifen von meinem Unterrock gepackt, der hinter mir herflatterte - was war, wenn er immer noch ein Stück davon hatte? Angenommen, es läge auf dem Grund des Brunnens, nicht weit von den Händen in seinem Schoß?
Mich überlief es eiskalt - wirklich und wahrhaftig eiskalt. Da stand ich auf dem Hof unter der heißen Julisonne, mit einer Gänsehaut auf dem Rücken und erstarrt bis ins Mark, wie es in einem Gedicht heißt, das ich in der High School gelesen habe. Dann meldete sich in meinen Gedanken wieder Vera zu Wort. Wenn du schon nichts daran ändern kannst, Dolores, sagte sie, solltest du dir darüber nicht den Kopf zerbrechen. Der Rat erschien mir gut, also ging ich die Stufen hinauf und wieder
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