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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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ist? Sie sieht aus wie siebzehn. Was macht deine Mutter? Geht es ihr gut?», fuhr er fort und wandte sich ganz mir zu.
    «Ja, es geht ihr gut.»
    «Ich habe sie lange nicht gesehen. Ich würde auch gern mal wieder ein Spielchen mit dem Herrn Doktor machen, aber das klappt nicht, weil ich derzeit sogar zu Hause für das Amt arbeiten muss. Jeden Abend sitze ich an meinen Berichten, es ist ein Elend. Hast du meinen neuen Vogel schon gesehen? Dort hinten ist er. Ich wollte gerade den Käfig holen. Komm mit und sieh ihn dir an.»
    Dass mir danach nicht gerade der Sinn stand, wird man mir leicht glauben, ohne dass ich dafür einen Eid auf den Himmel oder die Erde ablegen muss. Ich hatte das Bedürfnis, Capitu nachzulaufen und ihr endlich von dem Unheil zu erzählen, das uns bevorstand. Doch Vater ist Vater und dieser zudem ein ausgesprochener Vogelliebhaber. Er besaß Vögel jeglicher Art, Farbe und Größe. Im Innenhof seines Hauses befanden sich rundum Käfige mit Kanarienvögeln, die mit ihrem Gesang einen höllischen Lärm veranstalteten. Er tauschte Vögel mit anderen Vogelliebhabern, kaufte welche und fing auch ein paar im eigenen Garten, indem er Fallen aufstellte. Wenn sie krank wurden, behandelte er sie, als wären es Menschen.
    16
    Der zeitweilige Amtsleiter
    Pádua arbeitete in einem Amt, das dem Kriegsministerium unterstellt war. Er verdiente nicht viel, doch seine Frau war sparsam und das Leben billig. Außerdem war das Haus, in dem er wohnte – ein zweistöckiger Bau wie der unsere, wenngleich kleiner –, sein Eigentum. Er hatte es von einem großen Lotteriegewinn gekauft, der ihm mit einem halben Los zugefallen war, zehn Millionen Reis. Diesen Gewinn gedachte Pádua zunächst in ein Pferd vom Kap der Guten Hoffnung, in Brillantschmuck für seine Frau oder ein Familiengrab zu investieren oder ein paar Vögel aus Europa kommen zu lassen. Doch seine Frau, jene Dona Fortunata, die gerade dort am Hintereingang des Hauses steht und mit ihrer Tochter spricht, diese Frau, die hochgewachsen, wohlgenährt und kräftig ist wie ihre Tochter, deren Kopf dieselbe Form hat und deren Augen dieselbe Farbe haben, riet ihm, ein Haus zu kaufen und den Rest für Notzeiten zurückzulegen. Pádua zögerte lange, folgte am Ende aber doch dem Ratschlag meiner Mutter, bei der sich Dona Fortunata Unterstützung geholt hatte. Meine Mutter half den beiden nicht nur bei dieser Gelegenheit; einmal rettete sie Pádua sogar das Leben. Hört zu, die Geschichte ist nicht lang.
    Der Leiter des Amtes, in dem Pádua arbeitete, wurde in beruflicher Mission in den Norden Brasiliens geschickt. Und Pádua wurde, sei es aufgrund der regulären Hierarchie, sei es durch eine gezielte Ernennung, zu seinem Vertreter bestellt, und zwar mit dem entsprechenden Gehalt. Die veränderte Einkommenssituation ließ ihn leicht größenwahnsinnig werden; das war noch vor den zehn Millionen Reis. Er begnügte sich nicht damit, seine Garderobe und seinen Hausstand zu erneuern, sondern ließ sich auch zu überflüssigen Ausgaben hinreißen: Er beschenkte seine Frau mit Edelsteinen, schlachtete zu Festtagen ein Ferkel, wurde in Theatern gesehen und kaufte sich gar Lackschuhe. Zweiundzwanzig Monate lang lebte er in dem Glauben, der zeitweilige Posten würde ewig währen. Eines Nachmittags jedoch tauchte Pádua verzweifelt und verwirrt bei uns auf. Er sollte seine Stelle wieder verlieren, da an diesem Morgen der alte Amtsleiter zurückgekehrt war. Er bat meine Mutter, sich der beiden Unglückseligen anzunehmen, die er zurücklasse, denn er könne dieses Unglück nicht aushalten und werde sich daher umbringen. Meine Mutter redete mit Engelszungen auf ihn ein, doch er war gänzlich uneinsichtig.
    «Nein, gnädige Frau, ich werde mich dieser Schande nicht aussetzen! Das ist der Abstieg einer ganzen Familie, eine Rückkehr z u … Ich bleibe dabei, ich bringe mich um! Wie soll ich denn meinen Leuten diese Schmach beibringen? Und was ist mit den anderen? Was werden die Nachbarn sagen? Und die Freunde? Die Öffentlichkeit?»
    «Was für eine Öffentlichkeit, Herr Pádua? Hören Sie auf damit, seien Sie ein Mann! Denken Sie an Ihre Frau, die sonst niemanden ha t … was soll denn aus ihr werden? Ein Mann muss doc h … Seien Sie ein Mann, kommen Sie!»
    Pádua fuhr sich über die Augen und ging nach Hause, lag dort ein paar Tage still und stumm im Schlafzimmer herum oder auch im Garten neben dem Brunnen, als trüge er sich noch immer mit Selbstmordgedanken. Dona Fortunata

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