Dom Casmurro
spontanen Versuch, die Beleidigungen, die sie kurz zuvor noch ausgestoßen hatte, wieder zurückzunehmen, dass ich ihre Hand nahm und sie fest drückte. Capitu ließ es lachend geschehen. Danach wurden wir des Redens müde und brachen unsere Unterhaltung ab. Wir waren ans Fenster getreten. Ein Schwarzer, der bereits seit geraumer Zeit seine Cocada 18 feilbot, blieb davor stehen und fragte: «Sinhazinha 19 , möchten Sie heute etwas von der Cocada haben?»
«Nein», antwortete Capitu.
«Cocada schmeckt gut.»
«Gehen Sie!», erwiderte sie ohne Schroffheit.
«Geben Sie schon her!», sagte ich und streckte meinen Arm aus, um zwei Stückchen entgegenzunehmen.
Ich bezahlte, musste die Cocada aber allein essen. Capitu schlug sie aus. Und mir wurde bewusst, dass ich mir trotz der schwierigen Situation den Appetit auf Cocada bewahrt hatte, was sowohl als Stärke wie auch als Schwäche ausgelegt werden kann; doch dies ist nicht der Zeitpunkt für derartige Definitionen. Halten wir fest, dass meine Freundin, obgleich sie inzwischen wieder ausgeglichen und bei Sinnen war, nichts von Süßigkeiten wissen wollte, und dabei mochte sie sie sonst so gern! Was sie gerade auch nicht hören wollte, war das Liedchen, mit dem der Schwarze seine Waren feilbot, diese alte, im ganzen Viertel bekannte Melodie unserer Kindheitsnachmittage:
Weine, mein Mädchen, weine,
weine, weil du hast kein Geld.
Es lag nicht an der Melodie, die sie längst auswendig kannte und lachend und hüpfend bei unseren Kinderspielen gesungen hatte, während sie ihre Rolle gegen die meine eintauschte, sodass sie mal die Verkäuferin, mal die Kundin war, die eine nicht vorhandene Süßigkeit kaufte. Der Text des Liedes, der einen kindlichen Stolz anstacheln sollte, war es wohl, der sie verärgerte, denn gleich darauf sagte sie: «Wenn ich reich wäre, würdest du fliehen. Du würdest dich einschiffen und nach Europa reisen.»
Nach diesen Worten sah sie mir in die Augen, aber ich glaube, daraus konnte sie nichts ablesen außer vielleicht Dankbarkeit für die gute Absicht. In der Tat war mein Gefühl so freundschaftlich, dass ich das Abenteuerliche an ihrem Vorschlag gar nicht begriff.
Du siehst, lieber Leser, Capitu hatte schon mit vierzehn gewagte Ideen, wenngleich sie später noch viel gewagter wurden. Aber sie waren nur in der Theorie gewagt, in der Praxis wurden sie brauchbar, ausgeklügelt, zwingend und führten zum Ziel – nicht in einem Satz, sondern in vielen kleinen Sprüngen. Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausdrücke. Man stelle sich eine große Aufgabe vor, die mittels vieler kleiner Schritte gelöst werden muss. Capitu würde mich also, wenn sie könnte – um bei ihrem vagen, hypothetischen Wunsch, mich nach Europa zu schicken, zu bleiben –, nicht auf einen Dampfer setzen und fliehen lassen, sondern von hier bis dort eine Kette aus Kanus errichten, über die ich wie auf der beweglichen Brücke zum Fort Laje 20 bis nach Bordeaux gehen würde, während meine Mutter am Strand zurückbliebe. So besonders war das Wesen meiner Freundin. Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass sie sich gegen meine Pläne des offenen Widerstands sträubte und eher die sanften Mittel bevorzugte, die des Nachdrucks, der Worte, des allmählichen, dauerhaften Überredens. Als Erstes versuchte sie herauszufinden, auf wen wir zählen konnten. Onkel Cosme wurde verworfen; er sei ein «Bonvivant». Selbst wenn er meine Ordination nicht befürwortete, würde er dennoch nichts unternehmen, um sie zu verhindern. Base Justina sei schon besser geeignet, und geeigneter noch als die beiden wäre, seiner Autorität wegen, Pater Cabral. Doch der Pater würde sich nicht gegen die Kirche stellen, höchstens, wenn ich ihm beichtete, dass ich keine Berufung zum Priesteramt verspürt e …
«Kann ich ihm das beichten?»
«Natürlich, aber das hieße, offen aufzutreten, und wir machen es besser anders. José Dia s …»
«Was hat José Dias damit zu tun?»
«Sein Einfluss könnte Wirkung zeigen.»
«Aber wenn er es doch war, der damit anfin g …»
«Das spielt keine Rolle», erwiderte Capitu, «dann sagt er ab jetzt eben etwas anderes. Er mag dich sehr. Tritt ihm nur nicht schüchtern gegenüber. Das Wichtigste ist, dass du keine Angst hast. Zeig ihm, dass du einmal der Herr im Haus sein wirst, zeig ihm, was du willst und kannst. Gib ihm deutlich zu verstehen, dass es sich nicht um einen Gefallen handelt. Mach ihm auch Komplimente; er liebt Komplimente. Und Dona
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