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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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schimpfte: «Joãozinho, bist du ein Kind?»
    Da er aber so viel über den Tod sprach, bekam sie Angst. Also lief sie zu meiner Mutter und bat sie um den Gefallen, ihren Mann zu retten, der sich umbringen wolle. Meine Mutter traf Pádua neben dem Brunnen an. Sie beschwor ihn, zu leben. Was sei das denn für eine Verrücktheit zu meinen, man erleide ein Unglück, nur weil man weniger verdiente und eine zeitweilige Anstellung verloren hatte? Nein, nein, er solle sich wie ein Mann verhalten, wie ein Familienvater, sich ein Beispiel an Frau und Tochter nehme n … Pádua gehorchte und gelobte, dass er die Kraft finden werde, den Willen meiner Mutter zu erfüllen.
    «Nicht meinen Willen, Ihre Pflicht!»
    «Na schön, dann eben meine Pflicht; ich will es ja gar nicht leugnen.»
    An den darauffolgenden Tagen lief er immer noch gesenkten Hauptes und gegen die Wand gedrückt durch die Straßen. Der einst so fröhliche, offen in die Welt blickende Mann, der sich durch das ständige Grüßen der Nachbarschaft den Hut ruiniert hatte, und das schon vor der Amtsleiterstelle, war nicht wiederzuerkennen. Doch die Wochen gingen ins Land und die Wunde heilte. Pádua begann sich wieder für die häuslichen Dinge zu interessieren, kümmerte sich um seine Vögel, schlief des Nachts und am Nachmittag ruhig, plauderte und berichtete die Neuigkeiten von der Straße. Es kehrte Ruhe ein, auf die eines Sonntags die Fröhlichkeit in Person zweier Freunde folgte, die mit ihm eine Partie Solo um Geld spielen wollten. Da lachte er bereits wieder, machte Späße und sah aus wie früher; die Wunde war verheilt.
    Mit der Zeit stellte sich ein interessantes Phänomen ein: Pádua sprach über seine Amtsleiterzeit nicht nur ohne diese Sehnsucht nach dem Gehalt oder diesen Schmerz über den Verlust, sondern voll Stolz und Eitelkeit. Sie wurde für ihn zur Hedschra 15 , zu einer Art Zeitenwende, von der aus er vorwärts oder rückwärts zählte.
    «Damals, als ich Amtsleiter wa r …»
    Oder:
    «Ach ja, ich erinnere mich, das war noch vor meiner Zeit als Amtsleiter, ein bis zwei Monate davo r … Warten Sie, meine Zeit als Amtsleiter began n … Richtig, anderthalb Monate vorher; es war anderthalb Monate vorher, nicht früher.»
    Oder auch:
    «Richtig; ich war schon sechs Monate als Amtsleiter täti g …»
    So schmeckt posthum der zeitweilige Ruhm. José Dias schimpfte, das sei immer noch die alte Eitelkeit, doch Pater Cabral, der alles auf die Heilige Schrift bezog, sagte, beim Nachbarn Pádua wiederhole sich die Lektion, die Eliphas von Theman Hiob erteilt hatte: «Darum widersetze dich der Zucht des Allmächtigen nicht. Denn er verletzt und verbindet; er zerschlägt, und seine Hand heilt.» 16
    17
    Die Würmer
    «Er zerschlägt, und seine Hand heilt!» Als ich später erfuhr, dass auch die Lanze des Achilles eine von ihr verursachte Wunde heilte, überkam mich die Lust, darüber eine Doktorarbeit zu schreiben. Ich griff sogar zu den alten, toten und vergrabenen Büchern, öffnete und verglich sie, durchsuchte ihren Text und ihren Sinn, um den gemeinsamen Ursprung des heidnischen Orakels und des israelitischen Gedankens herauszufinden. Außerdem holte ich die Würmer aus den Büchern heraus, damit sie mir sagten, was in den von ihnen zerfressenen Texten stünde.
    «Mein Herr», antwortete mir ein langer, fetter Wurm, «wir wissen absolut nichts über die Texte, die wir zerfressen, denn weder wählen wir aus, was wir fressen, noch lieben oder hassen wir das, was wir fressen; wir fressen es einfach.»
    Mehr habe ich nicht aus ihm herausbekommen. Die anderen Würmer beteten die gleiche Leier herunter, als hätten sie sich verschworen. Vielleicht war dieses diskrete Schweigen über die zerfressenen Texte auch eine Möglichkeit, das Gefressene noch einmal wiederzukäuen.
    18
    Ein Plan
    Weder Capitus Vater noch ihre Mutter ließen sich blicken, als wir im Wohnzimmer über das Priesterseminar sprachen. Den Blick auf mich geheftet, wollte Capitu wissen, welches die Nachricht sei, die mich so betrübte. Als ich ihr sagte, was es war, wurde sie kreideweiß.
    «Aber ich will doch gar nicht», versicherte ich ihr sogleich, «ich will nicht ins Priesterseminar; und ich gehe auch nicht, und wenn sie noch so darauf bestehen: Ich gehe nicht.»
    Capitu sagte zunächst nichts. Sie versank in sich selbst, ihr Blick wurde starr, die Pupillen trüb und dumpf, der Mund war halb geöffnet; sie verharrte völlig bewegungslos. Um meiner Behauptung Nachdruck zu verleihen,

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