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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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Glória hört auf ihn. Aber darum geht es nicht in erster Linie. Er muss dir dienen, und deshalb wird er mit bedeutend mehr Nachdruck reden als andere.»
    «Das glaube ich nicht, Capitu.»
    «Dann geh eben ins Priesterseminar.»
    «Nein, das will ich nicht.»
    «Aber was verlieren wir, wenn wir es versuchen? Lass es uns versuchen. Tu, was ich dir sage. Vielleicht nimmt Dona Glória ihren Entschluss ja zurück. Und falls nicht, dann machen wir es anders und halten uns an Pater Cabral. Weißt du noch, wie du vor zwei Monaten zum ersten Mal ins Theater kamst? Dona Glória wollte es nicht, und daher hat José Dias zunächst auch nicht weiter darauf bestanden. Aber er wollte selbst gern hingehen, und deshalb hat er ihr einen Vortrag gehalten, weißt du noch?»
    «Ja, ich erinnere mich. Er meinte, das Theater sei eine ‹ Schule der Sitten › .»
    «Richtig. Er hat so lange geredet, bis deine Mutter ihm zustimmte und für euch beide die Karten bezahlt ha t … Los, bitte ihn darum, befiehl es ihm! Weißt du was? Sag ihm, dass du bereit seiest, in São Paulo Jura zu studieren.»
    Ich erzitterte vor Freude. São Paulo wäre, verglichen mit diesen dicken, immerwährenden Kirchenmauern, eine dünne Wand, die irgendwann überwunden wäre. Ich versprach ihr, José Dias auf die von ihr vorgeschlagene Weise anzusprechen. Capitu fasste noch einmal die Worte zusammen, die ich sagen sollte, betonte die wichtigsten und fragte sie mich dann ab, um sicherzugehen, dass ich auch alles verstanden hätte und nichts durcheinanderbrächte. Sie bestand auch darauf, dass ich ihn freundlich bäte, und dennoch so, als wünschte ich von jemandem ein Glas Wasser, der verpflichtet ist, es mir zu bringen. Ich erwähne hier diese ganzen Einzelheiten, damit dieser Morgen, dieses Erwachen meiner Freundin besser verstanden wird. Bald kommt der Abend, und aus Morgen und Abend wird der erste Tag, genau wie in der Schöpfungsgeschichte, woraus dann nach und nach sieben wurden.
    19
    Unbedingt
    Als ich nach Hause zurückkehrte, war es bereits dunkel. Ich ging schnell, doch nicht so schnell, als dass ich mir dabei nicht hätte überlegen können, welche Worte ich an unseren Hausfreund richten würde. Im Kopf formulierte ich meine Bitte und wählte die Worte und den Tonfall aus, nicht zu barsch und nicht zu wohlwollend. Ehe ich das Haus betrat, sagte ich sie mir im Geiste auf und anschließend sogar mit lauter Stimme, um zu prüfen, ob sie geeignet waren und Capitus Empfehlungen entsprachen: «Ich muss mit Ihnen reden, unbedingt , und zwar morgen; bestimmen Sie einen Ort und geben Sie mir Bescheid.» Ich sprach sie langsam aus, und das Wort unbedingt zog ich in die Länge, als wollte ich es besonders betonen. Ich wiederholte die Worte noch einmal und empfand sie als zu barsch, fast schroff und wahrlich unpassend für ein Kind, das sich an einen erwachsenen Mann wendet. Ich versuchte, andere Worte zu finden, und hielt inne. Doch dann sagte ich mir, dass sie durchaus zu gebrauchen seien, wenn ich sie nur in einem Ton sagte, der nicht beleidigend war. Und wie zum Beweis klangen sie, als ich sie ein weiteres Mal aussprach, fast wie eine Bitte. Man durfte sie nur nicht zu sehr betonen oder abschwächen, sondern musste die Mitte halten. Capitu hat Recht, dachte ich, es ist mein Haus, und er ist nur der Freund unseres Hause s … Aber er ist geschickt und kann mir helfen, Mamas Pläne zu vereiteln.
    20
    Tausend Vaterunser und tausend Ave-Marias
    Ich richtete den Blick zum Himmel, der sich bereits verdunkelte, doch nicht, um zu sehen, ob er bedeckt oder klar war. Es war ein anderer Himmel, zu dem ich meine Seele erhob: zu meinem Zufluchtsort, zu meinem Freund. Ich sprach zu mir selbst: «Ich gelobe, tausend Vaterunser und tausend Ave-Marias zu beten, wenn José Dias erreicht, dass ich nicht ins Seminar muss.»
    Das war ungeheuer viel. Der Grund dafür war, dass ich bereits zahlreiche nicht erfüllte Gelöbnisse mit mir herumschleppte. Zuletzt waren es zweihundert Vaterunser und zweihundert Ave-Marias gewesen, dafür, dass es bei einem Nachmittagsausflug nach Santa Tereza nicht regnete. Es regnete nicht, aber die Gebete sprach ich auch nicht. Von klein auf hatte ich es mir angewöhnt, den Himmel um Gefälligkeiten zu bitten und für den Fall, dass sie mir erwiesen würden, Gebete zu versprechen. Die ersten sagte ich noch auf, die anderen wurden verschoben, und je mehr dazukamen, umso mehr gerieten die alten in Vergessenheit. Bald waren es zwanzig, dreißig, fünfzig.

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