Dom Casmurro
seine Eröffnung über meine Liebelei mit dem Nachbarmädchen verriet.
Sie tat es nicht, sondern deutete lediglich mit einer Handbewegung an, dass es da noch etwas anderes gab, worüber sie nicht sprechen durfte. Dann empfahl sie mir erneut, mir nichts anmerken zu lassen und wiederholte noch einmal, was sie an José Dias missbilligte. Und das war nicht gerade wenig: Ein Intrigant sei er, ein Speichellecker, ein Spekulant und ein ungehobelter Kerl, trotz seines feinen Gehabes. Nach einer Weile fragte ich: «Base Justina, könnten Sie etwas für mich tun?»
«Was denn?»
«Könnten Si e … angenommen, ich wollte kein Priester werde n … Könnten Sie nicht Mama bitte n …»
«Nein, das geht nicht», unterbrach sie mich sofort, «Base Glória hat sich das in den Kopf gesetzt, und nichts auf der Welt wird sie umstimmen, höchstens die Zeit. Schon als du noch ganz klein warst, hat sie das allen Freunden und Bekannten erzählt. Ich werde sie bestimmt nicht daran erinnern, um nicht zum Unglück anderer Leute beizutragen, aber genauso wenig werde ich sie um das andere bitten. Wenn sie mich um Rat fragen, wenn sie zu mir sagen würde: ‹ Base Justina, was meinst du? › , würde ich antworten: ‹ Base Glória, ich denke, wenn er Priester werden will, dann soll er gehen, falls er das aber nicht will, dann bleibt er besser hier. › Das würde und das werde ich sagen, falls sie mich fragt. Aber ich werde sie nicht ungefragt darauf ansprechen.»
22
Fremde Gefühle
Mehr erreichte ich nicht, und am Ende bereute ich sogar meine Bitte. Ich hätte wohl besser Capitus Rat befolgt. Doch als ich gerade hineingehen wollte, hielt Base Justina mich zurück und sprach noch ein paar Minuten über die Hitze und das bevorstehende Fest zu Mariä Empfängnis, über die Hausaltäre, die ich früher gebaut hatte, und schließlich auch über Capitu. Sie sprach nicht schlecht über sie, im Gegenteil, sie deutete an, dass sie einmal ein sehr hübsches Mädchen werden würde. Und ich, der ich sie bereits wunderschön fand, hätte am liebsten gebrüllt, sie sei schon jetzt das schönste Wesen der Welt, hätte die Furcht mich nicht vorsichtig gemacht. Aber als Base Justina dann anfing, Capitus gute Manieren zu preisen, ihre Ernsthaftigkeit, ihre guten Umgangsformen, ihre Hilfsbereitschaft in der Familie und die Liebe, die sie meiner Mutter entgegenbrachte, da entflammte ich ebenfalls und stimmte in ihren Lobgesang ein. Nicht mit Worten, sondern mit Gesten, die ihre Aussagen bejahten, und bestimmt auch mit dem glücklichen Ausdruck, der mein Gesicht erhellte. Ich merkte gar nicht, dass ich so José Dias’ Eröffnung bestätigte, die sie am Nachmittag im Wohnzimmer vernommen hatte, falls sie nicht gar selbst schon diesen Verdacht gehegt hatte. Das fiel mir alles erst im Bett ein. Mir wurde bewusst, dass Base Justinas Augen mich, während ich redete, irgendwie befühlt, belauscht, berochen und geschmeckt hatten, als würden sie die Aufgaben sämtlicher Sinne übernehmen. Eifersucht konnte das nicht sein, denn zwischen einem jungen Burschen meines Alters und einer vierzigjährigen Witwe konnte es keine Eifersucht geben. Eindeutig war jedoch auch, dass sie nach einer gewissen Zeit die Lobeshymnen auf Capitu abwandelte und ein paar negative Dinge hinzufügte. So sagte sie, dass sie ein wenig listig sei und einen nicht direkt ansehen könne. Dennoch glaube ich nicht, dass es Eifersucht war. Eher glaube ic h …, ja, das ist es! Eher glaube ich, dass Base Justina im Erleben fremder Gefühle irgendwie ihre eigenen wiederaufleben ließ. Denn man kann auch genießen, indem man andere erzählen lässt.
23
Fristsetzung
«Ich muss morgen mit Ihnen reden, unbedingt; bestimmen Sie einen Ort und geben Sie mir Bescheid.»
Ich glaube, José Dias empfand meine Worte als sehr ungewöhnlich. Der Tonfall war zwar weniger befehlend als befürchtet, die Worte indes schon, und die Tatsache, dass ich nicht fragte, nicht bat, nicht zögerte, wie es für Kinder und insbesondere für mich typisch war, musste ihm den Eindruck eines neuen Menschen und einer neuen Situation vermitteln. All dies trug sich im Flur zu, als wir gerade zum Tee gingen. José Dias war noch ganz erfüllt von der Literatur Walter Scotts 21 , die er meiner Mutter und Base Justina soeben vorgelesen hatte. Er las singend und sehr betont. Schlösser und Parks wirkten größer in der Beschreibung aus seinem Munde, die Seen hatten mehr Wasser, und am «Himmelsgewölbe» funkelten tausendfach mehr
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