Dom Casmurro
Dann ging es in die Hunderte und nun in die Tausende. Ich wollte Gott mit der Menge an Gebeten bestechen, und jedes neue Gelöbnis erfolgte in der Absicht, die alte Schuld zu begleichen. Aber was tun gegen die angeborene Faulheit einer Seele, die das Leben nicht korrigiert hatte! Der Himmel tat mir meinen Gefallen, und ich schob das Abbüßen hinaus. Irgendwann verlor ich den Überblick über die Zahlen.
«Tausend, tausend!», sagte ich mir erneut.
In der Tat ging es bei diesem Gefallen um sehr viel, nämlich um nichts Geringeres als die Rettung oder den Schiffbruch meiner ganzen Existenz. Tausend, tausend, tausend. Es musste eine Summe sein, die sämtliche Rückstände beglich. Erzürnt über meine in Vergessenheit geratenen Schulden, könnte Gott sich, wenn ich nicht genügend bot, schließlich auch weigern, mich anzuhöre n … Ernsthafter Leser, vielleicht langweilen dich ja die Besorgnisse eines Jungen oder sie kommen dir gar lächerlich vo r … Erhaben waren sie jedenfalls nicht. Ich grübelte lange, wie ich von dieser geistigen Schuld freikommen könnte, sah aber keine andere Möglichkeit, als sie zu begleichen oder dies zumindest zu beabsichtigen, um eine negative Bilanz meines Gewissens zu vermeiden. Hundert Messen lesen lassen, auf den Knien die Stufen zur Kirche Nossa Senhora da Glória hochrutschen, um dort eine zu hören, ins Heilige Land pilgern, all diese berühmten Gelübde, von denen die alten Sklaven immer sprachen, kamen mir nun in den Sinn, ohne sich dort festzusetzen. Es war hart, eine Gasse auf Knien hochzurutschen, man würde sich bestimmt arg verletzen. Das Heilige Land war weit weg. Und hundert Messen – das war eine große Zahl, die meine Seele erneut in Schulden stürzen könnt e …
21
Base Justina
Auf der Veranda traf ich Base Justina, die dort auf und ab lief. Sie kam zum Treppenaufgang und erkundigte sich, wo ich gewesen sei.
«Ich war nebenan und habe mit Dona Fortunata geplaudert, es war sehr vergnüglich. Es ist schon spät, nicht wahr? Hat Mama nach mir gefragt?»
«Ja, das hat sie, aber ich habe ihr gesagt, du seiest schon da.»
Die Lüge erstaunte mich, und erst recht die Offenheit, mit der sie darüber sprach. Base Justina nahm zwar sonst auch kein Blatt vor den Mund und sprach Pedro gegenüber schlecht von Paulo und Paulo gegenüber schlecht von Pedro, neu war für mich hingegen, dass sie zugab, gelogen zu haben. Sie war um die vierzig, dünn und blass, die Lippen schmal und die Augen neugierig. Meine Mutter hatte sie nicht nur aus Großzügigkeit bei uns aufgenommen, sondern weil ihr selbst auch daran gelegen war. Sie wollte eine vertraute Person um sich haben, und eine Verwandte war ihr hierbei lieber als eine Fremde.
Wir wanderten noch ein paar Minuten auf der mit einem Lampion beleuchteten Veranda auf und ab. Meine Tante wollte wissen, ob ich mich noch an die geistlichen Pläne meiner Mutter erinnerte, und als ich dies bejahte, fragte sie mich, ob ich mir ein Leben als Priester vorstellen könne.
«Ein Priester hat ein schönes Leben», antwortete ich ausweichend.
«Ja, das hat er; aber ich frage dich, ob du Priester werden möchtest», sagte sie lachend.
«Ich möchte das, was Mama will.»
«Base Glória wünscht sich sehr, dass du dich weihen lässt, aber auch wenn sie sich das nicht wünschte, gibt es hier im Haus jemanden, der ihr das in den Kopf setzt.»
«Wer denn?»
«Wer wird das schon sein? Vetter Cosme bestimmt nicht, dem ist das gleichgültig, und ich bin es auch nicht.»
«José Dias!», folgerte ich.
«Natürlich.»
Ich runzelte fragend die Stirn, als wüsste ich von nichts. Daraufhin fuhr Base Justina fort und erzählte, José Dias habe just an diesem Nachmittag meine Mutter an das alte Gelübde erinnert.
«Base Glória würde ihr Gelübde irgendwann vielleicht sogar vergessen, aber wie soll das gehen, wenn ihr dauernd jemand in den Ohren liegt und vom Priesterseminar redet? Und dann seine Vorträge, dieser Lobgesang auf die Kirche, und dass das Leben eines Pfarrer dieses und jenes bedeutet. Und alles mit diesen Worten, die nur er kennt, und mit dieser Gezierthei t … Das macht er nur aus Bosheit, verstehst du, denn er ist nicht religiöser als dieser Lampion hier. Und trotzdem hat er heute erst davon gesprochen. Aber lass dir nicht anmerken, dass du es weiß t … Heute Nachmittag hat er Dinge gesagt, das kannst du dir gar nicht vorstelle n …»
«Aber kam er einfach so darauf?», fragte ich, um zu sehen, ob sie mir vielleicht auch noch
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