Dom Casmurro
will ich denn anderes, als dir zu dienen? Wonach sehne ich mich denn, wenn nicht danach, dass du glücklich wirst, wie du es verdienst?»
«Nun, es ist noch nicht zu spät. Sehen Sie, es ist doch nicht aus Faulheit. Ich bin zu allem bereit; wenn Mama möchte, dass ich Jura studiere, dann gehe ich nach São Paul o …»
26
Die Juristerei ist schön
Auf José Dias’ Gesicht blitzte so etwas wie ein Einfall auf – ein Einfall, der ihn außerordentlich erfreute. Er schwieg einen Augenblick. Meine Augen waren auf ihn gerichtet, während er erneut auf die Bucht blickte. Als wollte er auf etwas beharren, sagte er: «Es ist zu spät. Aber um dir zu beweisen, dass es nicht an meinem mangelnden Willen liegt, werde ich mit deiner Mutter reden. Ich kann dir nicht versprechen, dass ich siegen werde, aber zumindest werde ich kämpfen. Ich werde meine Seele einsetzen. Du willst also wirklich nicht Priester werden? Die Juristerei ist schön, mein Liebe r … Du kannst nach São Paulo gehen, nach Pernambuco oder sogar noch weiter weg. Es gibt überall auf der Welt gute Universitäten. Studiere Jura, wenn das deine Berufung ist. Ich werde mit Dona Glória sprechen, aber zähle nicht nur auf mich, sprich auch mit deinem Onkel.»
«Das werde ich tun.»
«Und wende dich auch an Gott, an Gott und die Heilige Jungfrau Maria», schloss er, gen Himmel weisend.
Der Himmel war ziemlich düster. Über dem Strand zogen, mal flatternd, mal ruhig dahinsegelnd, schwarze Vögel ihre Kreise. Sie senkten sich herab und streiften mit den Füßen das Wasser, stiegen wieder auf und kamen erneut herunter. Doch weder die Schatten am Himmel noch die fantastischen Tänze der Vögel lenkten meinen Geist von meinem Gesprächspartner ab. Nachdem ich ihm zugestimmt hatte, verbesserte ich mich: «Gott wird tun, was Sie wünschen.»
«Lästere nicht. Gott ist Herrscher über alles; er ist für sich allein Himmel und Erde, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Bitte ihn um dein Glück, ich tue auch nichts andere s … Wenn du schon nicht Priester werden kannst und das Jurastudium vorziehs t … Die Juristerei ist schön, womit ich aber nicht die Theologie geringschätzen möchte, sie ist das Allerbeste, so, wie auch das geistliche Leben das heiligste is t … Warum studierst du nicht im Ausland Jura? Geh doch besser gleich an eine ausländische Universität, denn dann studierst du nicht nur, sondern reist gleichzeitig. Wir können zusammen fahren, fremde Länder kennenlernen, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Russisch und sogar Schwedisch hören. Dona Glória wird uns vermutlich nicht begleiten können; und selbst wenn sie es könnte und mitführe, würde sie nicht alles selbst regeln wollen, die Papiere, die Einschreibungen, sie würde sich nicht um die Unterkünfte kümmern und mit dir von einem Ort zum andern reisen wolle n … Oh, die Juristerei ist etwas Schönes!»
«Dann gilt es also, dass Sie Mama bitten, mich nicht ins Seminar zu schicken?»
«Bitten kann ich sie, aber bitten heißt nicht, es auch zu erreichen. Engel meines Herzens, sollte mein Wille zu dienen mir auch die Macht geben zu bestimmen, dann sind wir bald hier am Hafen, sind wir bald auf dem Schiff. Oh! Du kannst dir nicht vorstellen, was Europa bedeutet! Oh, Europ a …»
Er hob ein Bein und vollführte eine Pirouette. Eines seiner großen Ziele war es, nach Europa zurückzukehren; davon sprach er sehr oft, ohne meine Mutter oder Onkel Cosme zu einer solchen Reise verleiten zu können, so sehr er auch Europas Luft und Schönheit lobt e … Mit der Möglichkeit, mich während meiner langen Studienjahre dort zu begleiten, hatte er nicht gerechnet.
«Wir sind fast auf dem Schiff, Bentinho, wir sind fast auf dem Schiff!»
27
Am Tor
Am Tor zum Passeio Público streckte uns ein Bettler die Hand entgegen. José Dias beachtete ihn nicht, doch ich dachte an Capitu und an das Seminar, holte zwei Kupfermünzen aus der Tasche und gab sie ihm. Der Bettler küsste die Münzen, und ich bat ihn, für mich zu Gott zu beten, damit alle meine Wünsche in Erfüllung gingen.
«Ja, mein frommer Herr!»
«Ich heiße Bento», fügte ich noch hinzu, um es ihm einfacher zu machen.
28
Auf der Straße
José Dias freute sich so sehr, dass er die ernsthafte Persönlichkeit, die er auf der Straße zu zeigen pflegte, gegen die quirlige, unruhige eintauschte. Er gestikulierte unentwegt, redete ohne Unterlass und machte alle paar Schritte vor einem Schaufenster oder Theaterplakat halt, wo er
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