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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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aber der war tot. Für sie gab es niemanden, der ihren Mann an Liebenswürdigkeit, Fleiß und Ehrbarkeit übertroffen, der geschliffenere Manieren und einen schärferen Verstand gehabt hätte. Diese hohe Meinung war laut Onkel Cosme posthum erwachsen; zu Lebzeiten hätten sie sich nur gestritten, und in den letzten Monaten hätten sie sogar getrennt gelebt. Vielleicht dachte sie dabei an ihr eigenes Heil, denn die Lobpreisung der Toten ist eine Art, für sie zu beten. Gewiss mochte sie auch meine Mutter, und falls sie doch einmal schlecht über sie dachte, vertraute sie dies nur ihrem Kopfkissen an. Nach außen hin brachte sie ihr verständlicherweise die gebührende Achtung entgegen. Ich glaube nicht, dass sie es auf eine Erbschaft abgesehen hatte. Menschen, die darauf abzielen, übertreiben ihre Hilfsbereitschaft, lachen mehr, sind bemühter, sorgen sich stets und kommen den Dienern zuvor. All dies widersprach Base Justinas Naturell, das aus Bitternis und Eigensinn bestand. Da sie aus Barmherzigkeit im Hause meiner Mutter aufgenommen worden war, musste sie die Hausherrin achten und behielt einen eventuellen Groll für sich oder vertraute ihn lediglich Gott oder dem Teufel an.
    Falls sie überhaupt einen Groll gegen meine Mutter hegte, war dies kein zusätzlicher Grund, Capitu abzulehnen. Diesen brauchte sie gar nicht. Denn je größer Capitus Nähe zu meiner Mutter wurde, umso mehr wurde sie für meine Tante zum Ärgernis. Anfangs war sie noch einigermaßen freundlich zu ihr, doch bald schon begann sie sie zu meiden. Capitu, der auffiel, dass sie Base Justina nicht mehr zu Gesicht bekam, erkundigte sich nach ihr und suchte sie. Base Justina ließ diese Aufmerksamkeiten zu. Das Leben ist voller Verpflichtungen, die es zu erfüllen gilt, auch wenn wir uns ihnen am liebsten entziehen würden. Hinzu kam, dass Capitu einen gewissen Zauber ausübte, der die Leute für sie einnahm, und manchmal lächelte selbst Base Justina, wenngleich etwas säuerlich. Nur wenn sie mit meiner Mutter allein war, fiel hie und da ein böses Wort über sie.
    Als meine Mutter an einem Fieber erkrankte, das sie fast das Leben gekostet hätte, wollte sie von Capitu umsorgt werden. Obwohl Base Justina dadurch die mühevolle Pflegearbeit erspart blieb, verzieh sie meiner Freundin diese Einmischung nicht. Einmal fragte sie Capitu, ob sie zu Hause denn nichts zu tun habe. Ein anderes Mal warf sie ihr lächelnd diesen Ausspruch hin: «Du brauchst nicht so zu rennen; was dein sein soll, wird dir in die Hände fallen».

67
    Eine Sünde
    Da wir schon bei diesem Thema sind, will ich die Kranke nicht aufstehen lassen, ehe ich nicht erzählt habe, was mir widerfuhr. Nach fünf Tagen Krankheit wachte meine Mutter eines Morgens so verwirrt auf, dass sie befahl, mich aus dem Seminar holen zu lassen. Onkel Cosme wandte vergebens ein: «Schwester Glória, deine Angst ist völlig unbegründet, das Fieber vergeht wiede r …»
    «Nein, nein! Lasst ihn holen! Vielleicht muss ich sterben, und meine Seele findet keine Ruhe, wenn Bentinho nicht bei mir ist.»
    «Wir werden ihm einen Schrecken einjagen.»
    «Dann sagt ihm nichts, aber lasst ihn holen, und zwar sofort. Beeilt euch!»
    Sie dachten, sie rede im Fieberwahn, doch da es kein Problem war, mich zu holen, wurde José Dias damit beauftragt. Als er im Seminar ankam, wirkte er so verstört, dass ich erschrak. Er sprach allein mit dem Rektor und erhielt die Erlaubnis, mich nach Hause mitzunehmen. Auf der Straße schritten wir schweigend einher, wobei er an seinem üblichen bedächtigen Gang festhielt – Obersatz, Untersatz, Konklusion –, doch seufzend und hängenden Kopfes. Ich suchte von seinem Gesicht eine schlimme, endgültige Nachricht abzulesen. Er hatte nur von einer Krankheit gesprochen, als wäre es nichts Bedrohliches. Doch die Tatsache, dass man mich rufen ließ, sein Schweigen, sein Seufzen, all das konnte mehr bedeuten. Mein Herz klopfte heftig, meine Beine zitterten, und mehr als einmal drohte ich zu stürze n …
    Ich war hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis, die Wahrheit zu erfahren, und der Angst, sie zu hören. Es war das erste Mal, dass ich mich dem Tod so nahe fühlte; er stand förmlich neben mir und sah mich aus seinen tiefen, dunklen Augenhöhlen an. Je weiter ich die Rua dos Barbonos voranschritt, umso mehr erschreckte mich die Vorstellung, zu Hause anzukommen, einzutreten, das Wehklagen zu hören und einen Leichnam vorzufinde n … Oh, es ist mir unmöglich, all das

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