Dom Casmurro
gleichgültig. Du hast nicht das Recht, ein Geheimnis zu verraten, das nicht nur deines ist, sondern auch meines, und ich erlaube dir nicht, irgendjemandem auch nur irgendetwas zu sagen.»
Sie hatte recht, also erwiderte ich nichts und gehorchte. Desgleichen gehorchte ich ihr, als sie mir am ersten Samstag, an dem ich sie zu Hause besuchte, nach ein paar wenigen Minuten der Unterhaltung anriet, wieder zu gehen.
«Bleib heute nicht länger hier, geh lieber nach Hause, ich komme dann später zu euch. Dona Glória wird verständlicherweise sehr viel oder gar alle Zeit mit dir verbringen wollen, sofern das möglich ist.»
In all diesen Dingen bewies meine Freundin eine solche Weitsicht, dass ich eigentlich gar kein drittes Beispiel anführen müsste, aber Beispiele sind dazu da, zitiert zu werden, und dieses hier ist so gut, dass es eine Sünde wäre, es nicht zu erwähnen. Es ereignete sich bei meinem dritten oder vierten Besuch zu Hause. Nachdem ich meiner Mutter auf ihre tausend Fragen geantwortet hatte, wie man mich dort behandelte, wie es um das Lernen stehe, um meine Freundschaften, um die Disziplin, ob mir auch nichts weh tue und ob ich gut schliefe, also auf all das, was eine liebevolle Mutter sich ausdenkt, um die Geduld ihres Sohnes auf die Probe zu stellen, wandte sie sich schließlich an José Dias: «Senhor Dias, zweifeln Sie immer noch daran, dass aus ihm ein guter Priester wird?»
«Aber Gnädigst e …»
«Und du, Capitu», unterbrach meine Mutter ihn und wandte sich an Páduas Tochter, die neben ihr im Wohnzimmer saß, «glaubst du nicht, dass unser Bentinho einen guten Priester abgeben wird?»
«Ganz bestimmt, Senhora», antwortete Capitu voll Überzeugung.
Diese Überzeugung gefiel mir gar nicht. Das sagte ich ihr auch am nächsten Morgen in ihrem Hof, als ich auf ihre Worte vom Vortag zu sprechen kam und ihr erstmals auch die Fröhlichkeit vorwarf, die sie seit meinem Eintritt ins Seminar zur Schau trug, während ich mich mit Sehnsucht quälte. Capitu wurde sehr ernst und fragte mich, wie sie sich denn verhalten solle, wenn doch alle bereits einen Verdacht hegten. Sie habe auch verzweifelte Nächte gehabt, und zu Hause seien ihre Tage genauso traurig gewesen wie die meinen, ich brauchte nur ihre Eltern zu fragen. Ihre Mutter habe ihr sogar durch die Blume gesagt, dass sie nicht so viel an mich denken solle.
«Bei Dona Glória und Dona Justina gebe ich mich natürlich fröhlich, damit es nicht so aussieht, als wäre José Dias’ Eröffnung wahr. Sähe das so aus, würden sie doch versuchen, uns auseinanderzubringen und mich dort vielleicht gar nicht mehr empfange n … Mir genügt unser Schwur, dass wir einander heiraten werden.»
Sie hatte ja so recht. Wir mussten uns verstellen, um jeden Verdacht auszuräumen, die alte Freiheit genießen und in Ruhe unsere Zukunft aufbauen zu können. Dieses Beispiel lässt sich noch durch das ergänzen, was ich am nächsten Tag beim Mittagessen hörte. Als Onkel Cosme sagte, er wolle noch erleben, wie ich den Leuten im Gottesdienst den Segen erteilte, erzählte meine Mutter, Capitu habe vor ein paar Tagen, als sie über Mädchen sprachen, die sehr früh heirateten, gesagt: «Mich soll auf jeden Fall Pater Bentinho trauen. Ich hoffe, er lässt sich weihen!» Onkel Cosme lachte über den Scherz, José Dias lächelte still, nur Base Justina runzelte die Stirn und sah mich fragend an. Ich, der ich alle angesehen hatte, konnte Base Justinas Blick nicht standhalten und widmete mich meinem Essen. Doch ich brachte kaum etwas hinunter: So begeistert war ich von Capitus großartiger Verstellung, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte. Nach dem Mittagessen lief ich sofort zu ihr, berichtete ihr von dem Gespräch und lobte ihre Schlauheit. Capitu lächelte dankbar.
«Du hast recht, Capitu», erwiderte ich. «Wir werden alle Leute täuschen.»
«Nicht wahr?», fragte sie unschuldig zurück.
66
Nähe
Meine Mutter schloss Capitu immer mehr in ihr Herz. Die beiden verbrachten die meiste Zeit des Tages miteinander, redeten über mich, über das Wetter oder auch gar nicht. Capitu ging vormittags zum Nähen hinüber und blieb manchmal bis nach dem Abendessen.
Base Justina war zwar weniger liebenswürdig als ihre Cousine, doch gänzlich schlecht behandelte sie meine Freundin auch nicht. Sie war ehrlich genug zu sagen, wenn sie an jemandem etwas auszusetzen hatte, und eigentlich hatte sie an allen Menschen etwas auszusetzen. Außer vielleicht an ihrem Ehemann,
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