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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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Beutel». 46 Auf diese Weise fände der Zuschauer im Theater die aus der Zeitung gewohnten Rätsel wieder, denn die letzten Akte würden wie in einer Art Sentenz den Ausgang des ersten erklären, und der Zuschauer ginge mit einem angenehmen Gefühl von Liebe und Zärtlichkeit ins Bett:
    Sie liebte mich, weil ich Gefahr bestand,
    Ich liebte sie um ihres Mitleids willen. 47
    73
    Der Inspizient
    Das Schicksal ist nicht nur Dramatiker, sondern auch sein eigener Inspizient, sprich, es regelt den Auftritt der Figuren auf der Bühne, stattet sie mit Briefen und anderen Requisiten aus und sorgt hinter der Bühne für die zu den Dialogen gehörigen Geräusche wie Donner, Kutschenlärm oder Schüsse. Als ich klein war, wurde hier, ich weiß nicht mehr, in welchem Theater, ein Stück aufgeführt, das mit dem Jüngsten Gericht endete. Die Hauptfigur war Ahasverus 48 , der im letzten Bild einen Monolog mit dem Ausruf enden ließ: «Ich höre die Trompete des Erzengels!» Man hörte keine Trompete. Ahasverus, dem dies peinlich war, wiederholte den Ausspruch, diesmal lauter, um die Aufmerksamkeit des Inspizienten zu erlangen. Doch nichts passierte. Da trat er in gespielt tragischer Pose zurück bis an den Vorhang, um dem Mann hinter den Kulissen zuzuraunen: «Die Posaune! Die Posaune!» Das Publikum hörte dies und fing an zu lachen, und als die Trompete schließlich tatsächlich erscholl und Ahasverus zum dritten Mal ausrief, dass es die des Erzengels sei, verbesserte ein Spaßvogel aus dem Publikum: «Nein, es ist die Posaune des Erzengels!»
    Mit dieser Geschichte möchte ich mein Verweilen unter Capitus Fenster und das Vorbeireiten eines Kavaliers zu Pferde erklären, eines Dandys, wie wir damals sagten. Er saß fest im Sattel eines edlen Fuchses, die Zügel in der linken Hand, die rechte in die Seite gestemmt, Lackstiefel, elegante Figur und Haltung. Sein Gesicht war mir nicht unbekannt. Es waren bereits vorher Reiter vorbeigekommen, und es sollten weitere folgen. Sie ritten alle zu ihren Angebeteten. Damals war es nämlich üblich, die Mädchen zu Pferde zu umwerben. Das kannst du bei José Alencar 49 nachlesen, lieber Leser. In einem Theaterstück von 1858 lässt er nämlich eine seiner Figuren sagen: «Zwei Dinge braucht ein Student im Leben: ein Pferd und ein Mädchen.» Und eines der Gedichte von Álvares de Azevedo 50 aus dem Jahr 1851 handelt davon, dass er, der er in Catumbi 51 wohnte, für drei Milreis 52 ein Pferd mietete, um die Angebetete in Catete 53 zu besuche n … Drei Milreis! Wie lange ist das her!
    Nun, dieser Dandy auf dem fuchsroten Pferde ritt nicht wie die Übrigen vorbei. Er war die Trompete des Jüngsten Gerichts, und sie erklang im rechten Augenblick: ein Werk des Schicksals, das sein eigener Inspizient ist. Der Reiter begnügte sich nicht damit vorbeizureiten, sondern blickte zu uns, zu Capitu, herüber, sah Capitu an, und Capitu sah ihn an. Das Pferd trabte weiter, während der Kopf des Mannes nach hinten gewandt war. Und das war der zweite Anfall von Eifersucht, der mich ereilte. Im Grunde war es ja völlig normal, dass man schöne Wesen bewunderte, doch dieser Kerl ritt regelmäßig nachmittags dort vorbei, denn er wohnte am ehemaligen Campo da Aclamação, und das hie ß … das hie ß … Wie sollte ein glühendes Herz wie das meine da noch vernünftig denken? Ohne ein weiteres Wort an Capitu eilte ich zurück in unseren Korridor und kam erst wieder zu mir, als ich im Wohnzimmer stand.
    74
    Der Hosensteg
    Im Wohnzimmer plauderten Onkel Cosme und José Dias, der eine sitzend, der andere auf und ab wandernd und immer wieder stehenbleibend. Bei José Dias’ Anblick musste ich an das denken, was er im Seminar zu mir gesagt hatte: «So wird das wohl bleiben, bis sie sich einen Burschen aus der Nachbarschaft schnappt und ihn heirate t …» Das war sicherlich eine Anspielung auf den Reiter gewesen. Die Erinnerung verschlimmerte noch das Gefühl, das ich von draußen mitgebracht hatte. Aber waren es nicht vielleicht diese unbewusst im Gedächtnis bewahrten Worte gewesen, die mich veranlasst hatten, eine Begehrlichkeit aus seinem Blick herauszulesen? Ich hatte eine unbändige Lust, José Dias am Kragen zu packen, ihn in den Flur zu zerren und zu fragen, ob er damals von einer Tatsache oder nur von einer Möglichkeit gesprochen habe, doch José Dias, der kurz innegehalten hatte, als ich eintrat, lief bereits wieder auf und ab und redete. Ich war ungeduldig. Es zog mich zum Nachbarhaus hinüber: Ich

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