Dom Casmurro
sicher, als läge es auf dem Friedhof. Er riet mir, nicht Priester zu werden. Ich könne nicht ein Herz in die Kirche einbringen, das nicht dem Himmel, sondern der Erde gehöre. Ich gäbe einen schlechten Priester ab, gäbe nicht einmal einen Priester ab. Im Gegenteil, Gott schütze die Aufrichtigen, und da ich ihm nur in dieser Welt dienen könne, sei es meine Pflicht, dort zu verbleiben.
Du kannst dir nicht vorstellen, lieber Leser, wie froh mich dieses Geständnis machte. Es war wie ein weiteres Glück. Das Herz dieses Jungen, der mir zugehört und zugestimmt hatte, brachte etwas Neues, Besonderes in diese Welt. Die Welt war groß und schön, das Leben eine wunderbare Laufbahn und ich ein von Gott Begünstigter. So empfand ich es zumindest. Man beachte indes, dass ich ihm nicht alles erzählte; das Beste ließ ich aus. Ich erzählte ihm nichts von dem Frisieren oder von ähnlichen Dingen, doch ich erzählte ihm vieles.
Ich brauche wohl nicht eigens zu erwähnen, dass wir noch öfter darüber sprachen. Ich lobte Capitus Tugendhaftigkeit, die die Bewunderung eines Seminaristen verdiente, ihre Einfachheit und Bescheidenheit, ihren Fleiß und ihre Religiosität. Von ihren körperlichen Reizen sprach ich nicht, und er fragte mich auch nicht danach. Ich deutete lediglich an, dass es schön wäre, wenn er sie einmal kennenlernen würde.
«Derzeit geht es nicht», sagte ich ihm, als ich das nächste Mal von zu Hause zurückkehrte. «Capitu verbringt ein paar Tage bei einer Freundin in der Rua dos Inválidos. Sobald sie wiederkommt, lernst du sie kennen. Aber du kannst uns natürlich auch vorher besuchen, jederzeit. Warum bist du gestern nicht zum Abendessen gekommen?»
«Du hast mich doch nicht eingeladen.»
«Brauchst du eine Einladung? Zu Hause mögen dich alle so gern.»
«Auch ich mag sie alle gern, aber wenn man einen von ihnen am liebsten mögen kann, dann deine Mutter; sie ist eine bewundernswerte Frau.»
«Nicht wahr?», fragte ich stolz zurück.
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Beginnen wir also mit dem Kapitel
Es gefiel mir sehr, ihn so reden zu hören. Du kennst meine Meinung über meine Mutter, lieber Leser. Noch heute, da ich die Niederschrift dieser Zeilen unterbrochen habe, um ihr Bild an der Wand zu betrachten, finde ich, dass man all ihre guten Eigenschaften von ihrem Gesicht ablesen kann. Anders lässt sich auch Escobars Meinung nicht erklären, der schließlich nur ein paar Worte mit ihr gewechselt hatte. Doch ein einziges würde bereits genügen, um ihr innerstes Wesen zu erkennen. Ja, meine Mutter war bewundernswert. So sehr sie mich auch damals zu einer Laufbahn zwingen wollte, die mir nicht zusagte, spürte ich doch, dass sie bewundernswert wie eine Heilige war.
Und war es überhaupt sicher, dass sie mich zu der kirchlichen Laufbahn zwingen wollte? Hier komme ich zu einem Umstand, von dem ich gehofft hatte, ihn erst später ansprechen zu können, obgleich ich schon länger darüber grüble, wann ich ihm ein Kapitel widmen soll. Denn eigentlich ist es nicht angebracht, an dieser Stelle etwas zu schildern, von dem ich glaube, es erst später entdeckt zu haben. Nun habe ich die Angelegenheit jedoch angesprochen, daher führe ich sie auch zu Ende. Es ist eine ernste und komplexe, heikle und sensible Angelegenheit, in der der Autor den Sohn anhören und der Sohn dem Autor lauschen muss, damit sie auch beide die Wahrheit sagen, nichts als die Wahrheit, die reine Wahrheit. Angemerkt sei hier noch, dass diese Angelegenheit meine Heilige nur bewundernswerter machte und ihrer menschlichen, irdischen Seite keinerlei Abbruch tat, ganz im Gegenteil! Doch das genügt als Vorwort. Kommen wir nun zu dem Kapitel.
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Kommen wir zu dem Kapitel
Kommen wir also zu dem Kapitel. Meine Mutter war, wie du, lieber Leser, weißt, sehr gottesfürchtig. Du kennst auch ihre religiösen Gepflogenheiten und den reinen Glauben, in dem sie wurzelten. Ferner ist dir bekannt, dass der Grund für meine geistliche Laufbahn ein bei meiner Zeugung abgelegtes Gelübde war. All dies wurde bereits zur Genüge dargelegt. Des Weiteren weißt du, dass meine Mutter, um den moralischen Druck der Verpflichtung zu erhöhen, ihre Pläne und Gründe Verwandten und Familienmitgliedern anvertraute. Ihr mit Inbrunst abgelegtes und barmherzig angenommenes Gelübde verwahrte sie voll Freude tief in ihrem Herzen.
Ich glaube, diese Freude sog ich bereits mit der Muttermilch ein. Wäre mein Vater noch am Leben gewesen, hätte er ihre Pläne womöglich durchkreuzt, und da
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