Domfeuer
Matthias und wippte auf den Zehenspitzen, »machen wir uns auf und suchen diesen Nox.«
Schon in Höhe des Trankgassentores verließ Matthias die Gruppe, doch nur, um einige Bettler aufzutreiben, die im Schatten der Hafenmauer schliefen und sich nur ungern von ihrem kühlen Plätzchen trennen wollten. Aber die Aussicht auf den Lohn war ein starker Ansporn. Drei der vier Männer kannte Barthel. Er hatte sie früher schon mal zusammen mit Paulus gesehen. Der andere war jung und wohl noch nicht lange auf der Straße.
Sie gingen die Trankgasse hinauf und gelangten durch das Pfaffentor an den Dom. Doch als sie weiter durch die Hachtpforte in den Domhof wollten, kamen sie kaum noch voran. Der Platz hinter dem Tor war voller Menschen. Paulus konnte seine Neugier offensichtlich nicht zügeln und kletterte über einen Karren auf die Mauer, die den Immunitätsbereich des Doms eingrenzte. Barthel erwog kurz, ihm zu folgen, ließ aber davon ab.
»Was siehst du?«
Paulus stellte sich breitbeinig auf die Mauerkrone. »Eine Menge Menschen. Und mittendrin die Sänfte. Sie leuchtet so rot wie ein Pickel in Matthias’ Gesicht.«
Dombaumeister Gerhard hielt gebührenden Abstand zu der Sänfte. Das ganze Spektakel rund um den Dom war ihm überhaupt nicht recht. Es gab noch so viel zu tun, und einen solchen Auftrieb konnte er jetzt nicht gebrauchen. Aber einen großzügigen Spender wie Bruno von Madras durfte er nicht vor den Kopf stoßen. Also hielt er sich bereit, dem Besucher seine Aufwartung zu machen.
Wie Gerhard zu Ohren gekommen war, hatte bis jetzt außer Konrad von Büren noch niemand Bruno zu Gesicht bekommen. Der Dompropst stand neben der Sänfte und sprach unentwegt auf ein kleines Viereck in Kopfhöhe ein, das sich bei näherer Betrachtung als eng geflochtenes Gitternetz im Stoff entpuppte und vom Insassen als Guckloch genutzt wurde. Konrad schilderte wortreich die Geschichte des alten Doms und bat dann den Dombaumeister hinzu. Gerhard verbeugte sich tief vor der Sänfte und begann nun seinerseits, auf den Besucher einzureden. Mit seinen Händen malte er die Umrisse des neuen Doms in den Himmel.
»Er wird über die Grundmaße der alten Kathedrale hinauswachsen, edler Herr. Dort, wo Ihr jetzt noch die Reste der römischen Stadtmauer seht, werden bald schon neue Fundamente gesetzt. Diese Mauer muss weichen, je schneller, desto besser für diese heilige Stadt. Sie trägt die Schuld daran, wie unnatürlich die Kirche gewachsen ist. Unsere Ahnen haben dieses Gotteshaus einst in den äußersten Winkel des römischen Kölns gebaut, ganz bewusst. Es zog sie nah an die Mauer und an ein Stadttor, denn sie lebten stets in der Furcht, Opfer neuer Verfolgungen zu werden, und wollten schnell aus der Stadt fliehen können. Und sie suchten den Ort in der Stadt, den als Erstes die Strahlen der Morgensonne trafen, an dem das Licht des Lebens allwiederkehrend und symbolisch über die Dunkelheit, das Böse, ja den Tod obsiegt. Als unser Glaube seinen Siegeszug antrat, geriet die Kirche bald zu klein, sie musste wachsen und stieß an ihre Grenze, an die alte Mauer. Unsere Vorväter bauten an der Mauer entlang, weshalb wir nun eine viel zu lange Kathedrale haben.«
Die Sänfte und ihre Begleiter zogen weiter zur Mitte des Platzes, von der aus man den besten Blick auf die Flanke des Doms hatte. Gerhard zeigte auf die Vorhalle und dann auf die wuchtige, beinahe wie ein Turm gebaute bischöfliche Pfalzkapelle, die der Kathedrale an der Seite vorgelagert waren und den Hof beherrschten.
»Schlimmer noch«, fuhr er fort, »diese beiden Bauten wurden dem Dom in späteren Jahren zugefügt, eine Sünde, die heute kein Baumeister mehr begehen würde. Sie sprengen jede Symmetrie der Kathedrale und zerstören völlig das Bild eines vollendeten Bauwerks. Dieser Dom ist ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit, er ist der Würde eines Gotteshauses nicht angemessen. Ihm gebricht es schlichtweg an allem. Es fehlen erhabene, große Portale – stattdessen betreten die Gläubigen den Dom durch die kleine Vorhalle und verlassen ihn durch die Pfalzkapelle. Ihm fehlt es an Platz, viel zu klein ist das Langhaus. Die Gläubigen drängen sich um den größten Schatz der Stadt – die Gebeine der Heiligen Drei Könige und ihren goldenen Schrein, die wir zwischen den Marienchor im Osten und den Peterschor im Westen stellen müssen. Im neuen Dom aber soll der Schrein in der Vierung vor dem Chor stehen, mitten im Kirchenkreuz. Aus allen Himmelsrichtungen
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