Domfeuer
sollen die Pilger die Gebeine verehren können. Der alte Dom, edler Herr, ist kein würdiges Gefäß mehr für die Reliquien der drei Weisen. Die Mauer, Herr, muss weg.« Gerhard unterstrich seine Forderung mit einer schneidenden Handbewegung. Wenn er nur könnte, würde er die Mauer schon jetzt nur mit der Kraft seiner Arme niederreißen.
»Bald wird sie weichen, denn wir müssen die Trankgasse verbreitern, weil wir sie als Rampe benötigen. Vom Hafen herauf werden wir über die Straße die Steine, die wir rheinaufwärts im Drachenfels brechen lassen, für den Dombau hierher befördern.«
Gerhard bemerkte, wie sich die Zahl der Bewaffneten rings um die Sänfte deutlich erhöhte, ebenso die Zahl der Domherren. Kein Wunder. Die Kanoniker dürften von der Kunde über einen edlen Spender angelockt worden sein, denn der Dombau und damit auch die Finanzierung waren Sache des Domkapitels.
Fünfzig Kanoniker zählte das Domkapitel, zwei Sitze im Domgestühl jedoch blieben stets leer, denn sie waren für den Papst und den Kaiser reserviert. Die Domherren waren allesamt wohlhabend, zumeist schon von Geburt, spätestens aber, wenn sie ins Kapitel gewählt wurden, denn die Besitzungen des Erzstifts galten als beträchtlich und warfen einen stattlichen Zins ab. Sechzehn Mitglieder des Kapitels, Domgrafen genannt, entstammten dem hohen Adel. Der Unterhalt des Doms, ein würdiger Ablauf der Gottesdienste und nicht zuletzt die Wahl des Erzbischofs – das waren die vornehmlichen Aufgaben des Domkapitels. An den Kosten für den Dombau beteiligten sich viele der Domherren gern, wie Gerhard bei der Vorstellung seiner Baupläne schnell erfahren hatte, mindestens ebenso viele jedoch hatten einen Igel im Geldbeutel. Geistlichkeit war noch lange nicht mit Großzügigkeit gleichzusetzen.
Ohne Spenden könnte Gottes schönstes Haus auf Erden nicht erbaut werden. Viele Menschen nutzten nur zu gern die Gelegenheit, sich mit einem Münzlein ein Stück vom Himmel zu sichern, und einige Patrizier taten sich gleich mit großzügigen Stiftungen hervor. Am Tag des Jüngsten Gerichts, dessen durften sich die Spender sicher sein, würde der Herrgott dies mit Wohlwollen zur Kenntnis nehmen und die Sündenstrafen wenn nicht erlassen, so doch gehörig verringern. Die Kollekten waren daher ein großer Erfolg. Im Auftrag des Domkapitels zogen Sammler übers Land und baten in den Gottesdiensten der Dörfer um Spenden für den Dombau.
Kurz, der neue Dom brauchte Geld. Viel Geld. Niemand wusste das besser als Gerhard. Niemand konnte sich besser vorstellen, wie viele Steine verbaut werden würden.
Vielleicht war es die Furcht, die Spender aus dem fernen Indien könnten zu viel desselben unters Volk bringen, welche den Dompropst zum Einschreiten veranlasste. Vielleicht war es aber auch die berechtigte Sorge um die Sicherheit der Besucher. Wie Wellen gegen eine kleine Insel wogten die Menschen zur Sänfte und wieder zurück und kamen ihr dabei bedrohlich nah. Der Löwe hielt nur noch diejenigen auf Abstand, die ihm unmittelbar gegenüberstanden.
Gerhard war nicht der Einzige, der sich angesichts der Unruhe in der Masse von Menschen Sorgen machte. Er hörte, wie Konrad von Büren Otto freundlich, aber mit Nachdruck bat, keine weiteren Münzen mehr in die Menge zu werfen, um nicht noch mehr Gier in die Menge zu bringen. Dann ließ Konrad von den Bewaffneten einen Ring um die Sänfte bilden, um sie weg von der Mitte des Platzes in den Schutz der Dombaustelle zu geleiten. Der Ansturm der Menschen brach an einem Wall aus Quaderstapeln, Holzstößen und Gerätschaften.
Als die Sänfte auf der Baustelle angelangt war, riegelte hinter ihr eine Kette von Spießträgern den Zugang zur Dombauhütte ab. Gerhard atmete erleichtert durch, und auch Konrad von Büren tupfte sich mit schon etwas entspannteren Zügen den Schweiß von der Stirn.
»Für den Neubau sprechen nicht nur die Gründe eines Baumeisters, der natürlich bemüht ist, eine noch schönere Kirche zu bauen«, sagte der Dompropst in Richtung der Sänfte, als er das Tuch wieder einsteckte. »Der Dom ist uns schlicht zu klein geworden. Nachdem Erzbischof Rainald die Gebeine der Heiligen Drei Könige nach Köln geholt hatte und sein Nachfolger Philipp den wunderbaren Goldschrein hat fertigen lassen, ist der Strom der Pilger unentwegt angeschwollen. Wir brauchen eine viel größere Kathedrale.«
Einige knappe Worte aus der Sänfte unterbrachen Konrad. Gerhard hielt das Ohr ans Guckloch, um der kratzigen
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