Don Camillo gibt nicht auf
Recht an, Genosse Bürgermeister. Ich ziehe meinen Priesterrock aus und verkleide mich, um meine Identität zu verbergen, und versuche heimlich das Gesetz zu brechen. Ich ziehe nicht Arm in Arm mit dem Genossen Bürgermeister durchs Dorf und brülle, wie es der Genosse Bürgermeister wollte: Ich handle wie ein gewöhnlicher Dieb. Ich entledige mich meiner Autorität als Pfarrer und agiere im Verborgenen, wie ein ganz normaler Verbrecher. Und allein die Tatsache, daß ich mich verkleide und heimlich vorgehe, bedeutet, daß ich die Existenz und die Gültigkeit des Gesetzes anerkenne. Wenn ich Soldat bin und am General vorbeigehe, muß ich ihn grüßen. Wenn ich vom General nicht gesehen werden möchte, kann ich versuchen, mich zu verdrücken. In dem Fall brauche ich ihn auch nicht zu grüßen. Aber ich kann nicht an ihm Vorbeigehen, die Hände in den Hosentaschen, ihn mit arrogantem Blick mustern und schreien: Ich habe die Fasane gestohlen. Aber ich habe nicht gebrüllt: » Peppone schüttelte den Kopf und schlug mit der Faust aufs Lenkrad.
«Ihr seid einer, der die andern lehrt, man darf nicht stehlen, und dann selber stiehlt. Ihr seid einer, der das Gute predigt und das Schlechte tut!» brüllte er.
«Peppone, wenn ich lehre, daß man nicht stehlen darf, und dann selber stehle, wäre ich nach deiner Moral doch eher einer, der das Schlechte predigt und das Gute tut. Aber du hast vollkommen recht: Ich predige das Gute und tue das Schlechte. Doch wenn ich der Masse Gutes predige, tue ich damit der Masse auch etwas Gutes; wenn ich ausschließlich für mich und auf meine private Rechnung Schlechtes tue, dann tue ich damit doch nur mir allein etwas Schlechtes. Und wegen dieser schlechten Tat werde ich mich verantworten müssen. Wegen dieser schlechten Tat werde ich meine gerechte Strafe empfangen. Ich mag der menschlichen Gerechtigkeit entfliehen, der göttlichen kann ich nicht entfliehen.»
Peppone grinste: «Es ist bequem, auf dieser Welt Schulden zu machen und dann zu sagen: Es muß sofort gezahlt werden!»
«Ich werde sofort zahlen, und zwar mit dem Kummer, den mir der Gedanke bereitet, daß ich das Gesetz Gottes und das der Menschen gebrochen habe. Mein Gewissen als Christ und Staatsbürger ...»
«Hmm», röhrte Peppone. «Euer Gewissen! Ich sag’ Euch, wo Ihr Euer Gewissen habt, als Christ und Staatsbürger: da, worauf Ihr sitzt!»
Don Camillo seufzte.
«Na gut, Peppone», sagte er versöhnlich. «Nehmen wir mal an, daß ich mein Gewissen dort habe, wo du meinst. Ändert das vielleicht etwas an dem, was ich behauptet habe?»
Peppone sah ihn verdrießlich an: «Was wollt Ihr damit sagen, Hochwürden?»
«Nichts. Ich wollte dich lediglich fragen, Genosse Peppone, ob du nie ausprobiert hast, wie es ist, wenn man eine Ladung Schrot in die Sitzfläche bekommt?»
Don Camillo hatte plötzlich mit seltsamer Stimme gesprochen, die von weither zu kommen schien, und Peppone knipste das Lämpchen am Armaturenbrett an.
Er sah, daß Don Camillo bleich wie ein Leintuch war.
«Hoch ...» stammelte Peppone.
«Mach das Licht aus und reg dich nicht auf», unterbrach ihn Don Camillo. «Das ist eine kleine... Gewissenskrise. Das wird Vorbeigehen. Bring mich nach Torricella zu dem alten Doktor. Das ist ein Freund von mir, und der wird mich entschroten, ohne irgend etwas zu fragen.»
Peppone zischte los wie eine Atomrakete und flog über die löcherigen Straßen. Nachdem er Don Camillo in Torricella vor der Tür des alten Doktors abgesetzt hatte, wartete er.
Er säuberte den Sitz, der voll Blut war. Dann versteckte er den Sack mit den Fasanen unter dem Sitz und machte einen kleinen Rundgang, um wieder Ordnung in seine Gedanken zu bringen.
Nach ungefähr einer Stunde kam Don Camillo zurück.
«Wie geht es?» fragte ihn Peppone.
«In bestimmter Hinsicht könnte ich dir antworten, daß ich mit meinem Gewissen wieder im reinen bin, doch ich werde aus technischen Gründen im Stehen heimfahren müssen. Wenn du nichts dagegen hast, steig’ ich hinten ein. Vielleicht kannst du dich mit der Geschwindigkeit ein bißchen zurückhalten.»
Zum Glück war der Laster mit einer Plane bedeckt, und die Heimfahrt wurde für Don Camillo nicht übermäßig qualvoll. Der Nebel hatte inzwischen den Vorhang zugezogen, und im
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