Don Camillo und seine Herde
alle kannten sie, alle hatten sie vieltausendmal gegrüßt und alle hatten eine Blume in die Konservenbüchse gesteckt, die auf der hölzernen Konsole unter der Nische stand. Wenn man die Mauer abträgt, wird die kleine Madonna im Mauerschutt enden.
Manasca ließ einen Fachmann aus der Stadt kommen, einen von jenen, die Wandmalereien abnehmen, ohne das Geringste dabei zu beschädigen.
Er schaute, untersuchte das Bild und sagte dann, daß da nichts zu machen sei.
«Wenn wir die Malerei nur anrühren, wird alles zu Staub», war sein Gutachten.
Inzwischen kamen die Arbeiter mit der Abtragung der Mauer schnell vorwärts, und als sie sich von beiden Seiten bis auf einige Meter der kleinen Madonna genähert hatten, hörten sie auf.
Peppone griff ein; er schaute die Madonna an, die mit dem Mauerrest geblieben war, und schüttelte dann den Kopf.
«Dummheiten!» sagte er. «Das hat nichts mit Religion zu tun, das gehört schon in das Gebiet des Aberglaubens. Wir wollen niemanden beleidigen. Wenn wir das Bild nicht retten können, sollen wir vielleicht auf eine Arbeit verzichten, die einen Haufen Leute ernährt und dem öffentlichen Wohl der ganzen Gegend dient?»
Die Arbeiter, harte Burschen, die imstande gewesen wären, ihren eigenen Vater zu demolieren, standen schweigend vor den Mauerresten.
Bagò, der Vorarbeiter, spuckte den Zigarettenstummel aus, an dem er gekaut hatte, und schüttelte den Kopf.
«Ich schlage sie nicht herunter, auch wenn es mir der Papst selbst befiehlt!» sagte er.
Die anderen schienen ganz seiner Meinung zu sein.
«Niemand hat gesagt, daß man sie herunterschlagen soll», schrie Peppone. «Hier geht es nicht um Sentimentalitäten, Traditionalismus usw. Hier geht es um etwas anderes, ganz anderes; wir tragen die Mauer ab, soweit es geht, den Rest stützen wir und übertragen das ganze Mauerstück woandershin. Zum Teufel! In Rußland versetzt man ganze Hochhäuser mit fünfzehn Stockwerken von einer Straßenseite auf die andere. Ich weiß, daß wir hier zurückgeblieben sind, aber mit so etwas müssen wir doch fertig werden!»
Bagò zuckte mit den Achseln.
«In Rußland versetzt man Wolkenkratzer, nicht aber Madonnen», murmelte er.
Brusco studierte das Problem und breitete dann die Arme aus.
«Hinter der Nische ist ein Riß in der Mauer; es ist ein wahres Wunder, daß das ganze Zeug nicht schon früher umgefallen ist. Diese Mauer besteht aus Lehm und Schutt. Auch wenn wir das Mauerstück sorgfältig behandeln, wird es uns wie ein Haufen Nüsse in den Händen bleiben.»
Peppone ging lange auf und ab, und das halbe Dorf betrachtete das Schauspiel.
«Ich möchte nun auch euch hören», brüllte plötzlich Peppone. «Ihr wißt, worum es geht. Sollen wir also die Arbeit aufgeben? Kotzt euch aus, der Blitz treffe euch!»
Die Leute wußten aber nicht, was sie erwidern sollten.
«Der einzige, der etwas sagen könnte, ist der Erzpriester», erklärten sie schließlich.
Peppone schob den Hut in den Nacken.
«Gut! Da es sich um das Interesse des Ortes handelt, gebe ich mir einen Stoß und gehe zum Herrn Erzpriester.»
Der Herr Erzpriester war im Garten und setzte Pflanzen aus. Peppone und alle anderen Leute blieben an der Ecke stehen. Manasca erklärte den Fall. Peppone fügte hinzu:
«Was sollen wir also tun?»
Don Camillo erkundigte sich lange nach den Einzelheiten. Er wußte alles sehr gut, wollte aber Zeit gewinnen.
«Es ist schon spät», sagte er zum Schluß. «Wir werden morgen eine Entscheidung treffen.»
«In der Stadt habe ich wenigstens zwölf Kirchen gesehen, die für profane Zwecke freigegeben worden sind, in denen sich ein Kohlenverkauf, eine Werkstatt oder eine Möbelfabrik befinden», sagte Peppone. «Wenn man das mit einer Kirche machen kann, warum dann solche Schwierigkeiten mit einem Bild, das auf eine Mauer gemalt ist?»
«Da ihr alle bei mir erschienen seid, scheint es Schwierigkeiten zu geben», antwortete Don Camillo.
Der Erzpriester konnte in dieser Nacht nicht einschlafen, weil ihm diese Angelegenheit Sorgen machte. Als er dann in der Frühe vor Peppone und vor der ganzen Menge erschien, hatte er seine Antwort bereit.
«Wenn ihr wirklich Gewißheit habt, daß man das Bild unter keinen Umständen retten kann, dann tragt die Mauer ab. Es geschieht dann für das Wohl der Allgemeinheit, und die arme, alte, kleine Madonna, die auf einer alten verfallenen Mauer aufgemalt ist, wird sicherlich dem Fortschritt nicht im Wege stehen und nicht so viele Menschen, die
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