Don Camillo und seine Herde
sprach sie zu ihm in vollendeter Anmut:
«Sie sind ein geschickter und kluger junger Mann. Das ist ein kleines Dorf, Arbeit ist aber für alle fähigen Leute da. Warum versuchen Sie nicht, etwas anzufangen?»
«Ich werde es versuchen», antwortete Carestia.
Er versuchte es tatsächlich, nach zwei oder drei Arbeitstagen aber überkam ihn eine große Schwermut, und er mußte den Posten aufgeben.
«Das ist eine Sache des Temperaments», erklärte er Marina. «Ich habe ein leidenschaftliches Temperament, und ich bin nicht für ein Gewohnheitsleben. Ich bin für Abenteuer geschaffen.»
Carestia sprach gut, weil er aus der Stadt war und eine Menge Dinge gesehen hatte, Theaterstücke, Filme, Opern und Sportveranstaltungen. Außerdem hatte er Bücher voll wunderbarer Dinge gelesen.
Marina hörte nicht auf, ihm zuzuhören, und seufzte von Zeit zu Zeit.
«Wie schön muß das Leben sein!» sagte sie.
Marina war Schneiderin; sie arbeitete gut und saß den ganzen lieben Tag an der Nähmaschine. Sie lebte zusammen mit ihrer uralten Großmutter, die für sie kochte. Erst am Abend hörte sie zu arbeiten auf, wenn Carestia kam.
So kam es, daß sie mit der Arbeit nicht mehr fertig wurde und auch in der Nacht schuften mußte. Anstatt am Abend auf der Brücke, begannen sie einander ein wenig im Haus und ein wenig außerhalb des Hauses zu treffen, in der Weise, daß Marina im Haus arbeitete und Carestia, ans Fenstergitter gelehnt, im Hof stand. Es versteht sich, daß, als es im Herbst zu regnen anfing, Carestia eingeladen wurde hereinzukommen, und schließlich verließ er das Haus nicht mehr, weil er Marina heiratete. Die beiden blieben nach dem Tod der uralten Großmutter allein und wurden zum Geschwätz des ganzen Dorfes.
Tatsächlich sah man Carestia nie auch nur einen Finger rühren, während Marina vom frühen Morgen bis spät in die Nacht ununterbrochen arbeitete und niemals klagte.
Hatte sie einen Groschen übrig, so gab sie ihn Carestia. Sie schickte ihn in die Stadt, ins Kino. Carestia ging am Nachmittag ins Kino, und Marina konnte seine Rückkehr kaum erwarten, obwohl er immer sehr schnell zurückkam, weil er auf dem Fahrrad ein richtiger Teufel war.
Dann erzählte Carestia ausführlich den ganzen Film, und Marina unterhielt sich mehr, als wenn sie ihn mit eigenen Augen gesehen hätte.
Einmal schickte sie ihn sogar ins Theater in eine Oper, fand aber nachher, daß die Sache ohne Musik nicht interessant sei.
«Ich unterhalte mich besser im Kino», sagte sie.
Dann kam der Krieg, und Carestia mußte einrücken. An der Nähmaschine arbeitend, wartete Marina auf ihn. Immer wieder tröstete sie sich: Wer weiß, was er mir alles zu erzählen haben wird!
Carestia hatte tatsächlich nach seiner Rückkehr eine Menge Dinge zu erzählen und erzählte sie alle, und Marina machte ganz große Augen.
Auch nach dem Krieg rührte Carestia keinen Finger; da er die Greuel vergessen mußte, die er gesehen und erlitten hatte, beschäftigte er sich gründlich mit dem Vergessen.
Eines Abends kam ein Bürschlein mit einer dringenden Botschaft zu Marina, und Marina stand von der Nähmaschine auf -und folgte dem Buben.
Sie fand Carestia auf einer Bank des Gasthauses von Molinetto wie tot ausgestreckt. Er war stockbesoffen.
Wenn er auch mager war, so hatte er doch sein Gewicht. Marina lief nach Hause, um den Schubkarren zu holen, lud Carestia auf und fuhr ihn nach Hause.
Nach zwei oder drei Tagen erschien Carestia wieder im Gasthaus von Molinetto. Gegen Abend kam der Bub des Wirtes zu Marina, und diesmal folgte ihm Marina schon gleich mit dem Karren.
Sie fand Carestia in derselben Verfassung wie das erste Mal vor, fuhr ihn wie das erste Mal nach Hause und brachte ihn ins Bett.
Es vergingen drei Jahre, und man kann sagen, daß alle versuchten, Carestia zu helfen, weil ihnen Marina leid tat, die noch immer so schön und so unglücklich war. Sie stand nun von der Nähmaschine nur dann auf, wenn sie Carestia aufklauben ging, der stockbesoffen unter dem Wirtshaustisch lag.
Carestia aber schüttelte den Kopf.
«Bringt mich um, zwingt mich aber nicht zu arbeiten!» antwortete er.
Von Zeit zu Zeit, nach langen Perioden der Ruhe, wenn alles wie geölt vor sich geht, wird die Gegend zu einer Art Hölle.
Immer ist es wegen der verfluchten Politik, dieser schmutzigen Sache, die das Blut vergiftet und den Sohn gegen den Vater und den Bruder gegen den Bruder aufbringt. Auch Carestia lebte dann wie in einer anderen Welt, wenn er nicht
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