Don Camillo und seine Herde
Mutter beschützt. Er muß auch deinen Sohn schützen. Er muß zurück auf seinen Platz.» Peppone schaute Don Camillo an.
«Sind Sie verrückt geworden?»
«Ja», antwortete Don Camillo. «Aber, wenn auch verrückt, allein kann ich die Verrücktheit nicht ausführen, die ich im Sinne habe. Ich brauche die Hilfe eines Verrückten wie du.»
Das Gerüst umgab immer noch den Turm; Don Camillo zog die Soutane hoch und stieg empor. Dann kam Peppone mit einem Flaschenzug.
Sie waren nur zu zweit, aber stark und verrückt wie sechs: Sie befestigten den Engel an den Seilen, schraubten ihn vom Turm ab. Die Statue wurde heruntergeseilt. Sie trugen sie auf den Armen in die Kirche, holten den richtigen Engel aus der Kirche und stellten den falschen Engel an seinen Platz.
Sie befestigten den richtigen Engel am Flaschenzug und hißten ihn.
Um ihn auf der Turmspitze festzuschrauben, wären sonst fünf Mann nötig gewesen. Sie befestigten ihn aber zu zweit.
Endlich waren sie wieder unten und eilten in den Pfarrhof. Sie waren durchnäßt von Schweiß und Nebel; ihre Hände waren zerschunden. Erst jetzt bemerkten sie, daß es schon fünf Uhr war.
Nun dachten sie an das, was sie getan hatten, und eine große Angst bemächtigte sich ihrer.
Es graute. Sie schlichen sich ans Fenster und spähten hinauf. Der Engel war oben, oben auf der Turmspitze.
«Unmöglich», murmelte Peppone.
Dann ergriff ihn eine heftige Wut, und er wandte sich zu Don Camillo.
«Warum haben Sie mich dazu verleitet?» schrie er. «Warum habe ich mich in diese verfluchte Sache eingelassen?»
«Es ist keine verfluchte Sache», antwortete Don Camillo. «Zu viele falsche Engel laufen bereits in der Welt herum und tragen zu unserem Unglück bei. Wir brauchen richtige Engel, die uns schützen.»
Peppone verzog angewidert das Gesicht.
«Übliche Dummheiten der klerikalen Propaganda!» sagte er. Und ging, ohne zu grüßen.
Als er aber vor seinem Haus war, zwang ihn etwas, sich umzudrehen und hinaufzuschauen, und er sah den Engel, der auf der Spitze des Turmes im ersten Tageslicht leuchtete.
«Grüß dich, Genosse», murmelte Peppone heiter und nahm den Hut ab.
Unterdessen kniete Don Camillo vor dem Hochaltar.
«Jesus, ich weiß nicht, wie uns das gelungen ist!»
Und Christus antwortete nicht, lächelte aber, denn Er wußte es.
Überfluß und Mangel
Carestia war einer aus der Stadt, den es auf höchst sonderbare Weise hereingeschneit hatte. Am Anfang hieß er natürlich nicht Carestia, sondern hatte seinen ehrlichen Namen und Vornamen wie alle Christen und war auch ein hübscher Bursche. Man nannte ihn im Dorf so, nicht weil er besonders mager gewesen wäre, sondern weil Marina ein kräftig gebautes Mädchen war, und so paßte es gut, die beiden Abbondanza und Carestia zu nennen, was auf deutsch Überfluß und Mangel bedeutet.
Carestia kam als zweiter ins Dorf; das war, als man die Radrundfahrt in der Bassa veranstaltete; es war eine große Sache, mit Rennfahrern sogar aus anderen Provinzen. Carestia war damals zwanzig Jahre alt und ein guter Fahrer. Er nahm an dieser Rundfahrt teil, weil es schöne Preise gab. Er kam ins Dorf als zweiter, zwanzig Meter hinter dem ersten, und war noch frisch wie eine Rose.
«Dieser da wird spätestens nach zwei Kilometern die Führung übernehmen, und niemand wird sie ihm mehr nehmen können!» sagten die Leute. Und tatsächlich, anstatt im Dorf langsamer zu werden, beschleunigte er das Tempo und schoß zwischen den Häuserzeilen dahin, mitten durch Geschrei und Applaus.
Zweihundert Meter außerhalb des Dorfes hatte er eine Reifenpanne.
Er warf das Fahrrad auf einen Schotterhaufen und wechselte den Reifen, als sich ein Mädchen näherte, das von einem alleinstehenden Haus gekommen war und ihn fragte, ob er etwas brauchte.
Carestia sah sie damals zum erstenmal, die später Abbondanza genannt werden sollte, eigentlich aber Marina hieß.
Carestia vergaß den Ersatzreifen, das Rennen und die ganze übrige Welt und begann mit dem Mädchen zu plaudern. Gegen Abend grüßte er das Mädchen, ging ins Dorf, verkaufte das Fahrrad, kaufte eine Hose, ein Hemd und ein Paar billige Schuhe und blieb dort.
Er verbrachte seine Tage auf den Dämmen, und am Abend ging er zu Marina.
Eines Abends fand ihn Marina in ziemlich schlechter Verfassung und entdeckte dann, daß der Erlös vom Fahrrad zu Ende war und Carestia seit einiger Zeit nichts zu essen hatte.
Sie gab ihm zu essen, aber als sie ihn nach wie vor herumspazieren sah,
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