Don Camillo und seine Herde
Bassini, der sein Geld für die Vergoldung des Engels auf dem Turm hinterlassen hat. Das ist der Engel, den er meinte, und ich muß ihn vergolden lassen, sonst verfälsche ich den letzten Willen des verstorbenen Bassini.»
Inzwischen wurde der neue Engel auf den Turm gehievt, und die Fachleute begannen sogleich, den alten Engel zu vergolden, und waren rasch mit ihrer Arbeit fertig.
Der alte Engel mit seiner Vergoldung aus Dukatengold wurde in der Kirche in einer Nische gleich beim Eingang aufgestellt, ein Stück, vor dem die Leute mit offenem Mund stehenblieben.
In der Nacht vor der Einweihung konnte Don Camillo nicht einschlafen. Um zehn Uhr stand er auf und ging in die Kirche hinunter, um seinen goldenen Engel zu betrachten.
«Dreizehntes Jahrhundert», sagte Don Camillo. «Und diese Kirche hat man vor nicht einmal dreihundert Jahren gebaut. Du hast also vielleicht schon vierhundert Jahre vor dieser Kirche bestanden. Wie bist du auf die Spitze dieses Turmes gekommen? Wer hat dich hinaufgebracht?»
Don Camillo betrachtete die großen Flügel des Erzengels Gabriel und wischte sich dann mit seiner großen Hand den Schweiß von der Stirn. Laß die dummen Gedanken! Wie hätte ein Engel aus Kupfer auf die Spitze eines Glockenturmes fliegen können?
Der Engel war in der Nische, geschützt durch einen großen gerahmten Glassturz, den man aufmachen konnte. Don Camillo zog den Schlüssel aus der Tasche und öffnete den Schrein.
So ein Engel, der hoch oben zu leben gewohnt war, sollte jetzt in dieser Schachtel eingesperrt bleiben? Hier schien ihm der Engel doch zu wenig Luft zu haben.
Ihm kam der alte Bassini in den Sinn: «Ich hinterlasse alles dem Herrn Erzpriester für die Vergoldung des Engels auf dem Glockenturm, damit dieser leuchte und ich an ihm dort oben jederzeit sehen kann, wo mein Heimatdorf ist.»
«An dem dort oben sieht der alte Bassini nicht seinen Engel leuchten», dachte Don Camillo. «Er sieht den falschen Engel leuchten. Er wollte aber diesen da leuchten sehen...»
Das bedrückte ihn: Warum sollte man den alten Bassini betrügen?
Don Camillo kniete vor dem Christus am Hochaltar nieder. «Jesus», sagte er, «warum habe ich den alten Bassini hinters Licht geführt? Warum habe ich diesen Idioten aus der Stadt nachgegeben?»
Christus antwortete nicht, und Don Camillo kehrte zu dem Engel zurück.
«Dreihundert Jahre hast du auf diese Felder und auf diese Menschen heruntergeschaut. Dreihundert Jahre hast du still über dieses Land und seine Leute gewacht. Vielleicht auch siebenhundert Jahre, weil diese Kirche auf den Ruinen einer uralten, noch viel älteren Kirche errichtet worden ist. Du hast uns vor Krieg, Hunger und Pest bewahrt. Wie viele Blitze hast du abgewehrt? Wie vielen Unwettern getrotzt? Seit dreihundert Jahren, vielleicht seit siebenhundert, warst du für die Seelen der Toten, die zum Himmel emporstiegen, der letzte Gruß der Heimat. Deine Flügel schwangen mit allen unseren Glocken mit, mit Trauerglocken, mit Freudenglocken. Jahrhunderte an Freud und Leid sind in deinem Metall eingeschlossen. Und jetzt bist du hier ohne Luft, im vergoldeten Käfig, und nie mehr wirst du die Sonne, nie mehr den blauen Himmel sehen. An deiner Stelle ist ein falscher Engel, der aus Sesto San Giovanni kommt, und in seinem Metall ist nur das Echo der Flüche der durch die Politik vergifteten Gießereiarbeiter eingeschlossen. Und dieser falsche Engel hat deine Stelle erschlichen. Dich hat ein vom Glauben getragener Mann geschaffen. Millimeter für Millimeter hat er mit dem Hammerschlag dein Metall geformt. Ungestalte und gottlose Maschinen haben den anderen geschaffen, der dir völlig gleicht. Während aber in jedem Quadratmillimeter deines Metalls etwas vom Glauben des unbekannten Künstlers aus dem dreizehnten Jahrhundert lebt, ist im Metall des anderen nur die kühle Gottlosigkeit der Maschine. Wie wird uns dieser falsche und gleichgültige Engel ohne Frömmigkeit schützen können? Was bedeuten ihm schon unsere Felder und unsere Leute?»
Es war nunmehr elf Uhr. Eine Nacht voll Stille und Nebel. Don Camillo verließ die Kirche und verschwand in der Dunkelheit.
Peppone kam sofort auf die Straße heraus und schaute Don Camillo unfreundlich an.
«Ich brauche dich», sagte Don Camillo. «Nimm deinen Mantel und geh mit.»
Als sie in der Kirche waren, zeigte Don Camillo den in Dukatengold schimmernden Engel.
«Er hat dich, deinen Vater, deine Mutter und den Vater und die Mutter deines Vaters und deiner
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