Don Camillo und seine Herde
Später aber machte Bianco keine solchen Scherze mehr, denn es war ein intelligentes Tier und verstand sogleich, daß der Karren etwas anderes sei als der Bahnwagen. Nur manchmal überkam ihn die alte Gewohnheit, wenn er auf der Straße zwischen dem Dorf und der Landstraße dahintrottete. Wenn man nicht aufpaßte, hielt sich Bianco ganz auf der linken Seite, knapp an den Straßengraben heran, wo früher die Bahnschienen waren.
So vergingen die Jahre, Bianco wurde immer älter und war ein so braves und gutes Tier, daß ihn Barchini wie ein Kind liebte. Und als das Pferd begann, ein Klepper zu werden, dachte niemand daran, ihn loszuwerden. Man teilte ihn für leichte Arbeiten ein, und als Barchini eines Tages einen Landarbeiter Bianco einen Stockhieb versetzen sah, nahm er eine Heugabel und hätte den Unglückseligen aufgespießt, wenn dieser nicht auf den Heuboden geflüchtet wäre.
Mit der Zeit wurde Bianco immer langsamer und gleichgültiger. Zum Schluß bewegte er nicht einmal mehr den Schwanz, um die Fliegen davonzujagen. Es war nicht notwendig, ihn anzubinden, wenn man irgendwo stehenblieb, weil er sich ohnedies nicht von der Stelle gerührt hätte, auch wenn der Himmel eingestürzt wäre.
Er stand gleichgültig herum und ließ den Kopf hängen, als ob er nicht ein wirkliches, sondern ein ausgestopftes Pferd wäre.
An einem Samstagnachmittag hatte man Bianco vor einen leichten Karren eingespannt, um Don Camillo einen Sack Mehl zu schicken, und während sich der Knecht mit dem Sack auf der Schulter in den Pfarrhof begab, wartete das Pferd mit hängendem Kopf vor der Kirche.
Plötzlich hob Bianco den Kopf und spitzte die Ohren. Das war etwas so Außerordentliches und Unerwartetes, daß Don Camillo, der sich gerade vor dem Eingang in den Pfarrhof eine Zigarre anzünden wollte, das Zündholz aus der Hand fallen ließ.
Bianco blieb mit gespitzten Ohren stehen. Dann ging es los: Bianco schoß im Galopp davon.
Er überquerte den Platz wie ein Blitz, und es war ein Wunder, daß er niemanden überfuhr. Er schlug entschlossen die Straße ein, die zur Landstraße führte, und verschwand in einer Staubwolke.
«Bianco ist verrückt geworden!» schrien die Leute.
Peppone kam auf dem Motorrad, Don Camillo zog die Soutane hoch und setzte sich auf den Sozius.
«Los!» brüllte Don Camillo, Peppone gab Gas und schaltete den Gang ein.
Bianco flog auf dem Sträßlein zur Landstraße dahin, und der Karren hüpfte wie ein Schiff auf bewegtem Meer, und wenn er nicht in tausend Stücke ging, dann war es nur deshalb, weil es auch einen Heiligen gibt, der die Karren behütet.
Peppone fuhr mit Vollgas, und das Motorrad holte auf halbem Wege das Pferd ein.
«Lege an!» brüllte Don Camillo. «Ich versuche, ihn an der Trense zu fassen.»
Peppone «legte an», so gut er konnte. Don Camillo gelang es, Bianco zu fassen, und es schien so, als ob Bianco, der ganz außer Atem war, schon bereit wäre, sich daran zu erinnern, nur ein alter, bescheidener und geduldiger Klepper zu sein, als er plötzlich neue Kraft gewann und Don Camillo zwang, den Griff zu lockern.
«Wir müssen ihn laufen lassen!» schrie Don Camillo Peppone ins Ohr. «Niemand kann ihn mehr aufhalten! Gib Gas, wir passen auf ihn auf.»
Peppone gab wieder Vollgas, und das Motorrad flog wie ein Pfeil zur Landstraße. An der Abzweigung blieb Peppone stehen. Er versuchte, etwas zu sagen, Don Camillo befahl ihm aber zu schweigen.
Dann erscheint gleich darauf Bianco, in wenigen Sekunden wird er auf der Hauptstraße sein, und Peppone rennt, um Alarm zu schlagen. Aber dazu ist keine Zeit mehr. Es ist auch nicht mehr notwendig.
Als Bianco zur Einmündung in die Landstraße kommt, bleibt er stehen und springt zur Seite. Er stürzt in den Staub, während der Karren mit gebrochenen Deichselstangen in den Straßengraben rollt.
Da liegt jetzt Bianco im Straßenstaub wie ein Haufen Knochen; und auf der Landstraße fährt in einer Wolke von Dampf die Straßenwalze des Unternehmens heran, das begonnen hat, die Straße auszubessern. Die Maschine pfeift im Vorbeifahren. Ein langer Pfiff. Und Bianco, dieser Haufen Knochen, wiehert.
Bianco ist jetzt wirklich nur noch ein Haufen Knochen. Peppone steht vor ihm und schaut Biancos Leiche an, nimmt den Hut ab und wirft ihn zu Boden.
«Der Staat!» brüllt Peppone.
«Wieso der Staat?» fragte Don Camillo.
Peppone wendet sich ihm mit bösem Gesicht zu.
«Der Staat!» brüllt er. «Man sagt das und man sagt jenes, und zum Schluß, wenn
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