Don Camillo und seine Herde
um sich wegen der Taten seines Lebens zu verantworten. Jesus, schlecht ist nur, daß er jetzt schon mehr als neunzig Jahre alt ist und daß es genügen würde, ihn mit dem kleinen Finger zu berühren, und schon würde er die Füße aufstellen. Wäre er dreißig oder vierzig und gesund und stark, dann wäre es etwas anderes.»
«Don Camillo, deine Unterrichts weise in christlicher Nächstenliebe mit Faustschlägen gegen den Kopf gefällt mir nicht», sagte Christus streng.
«Mir auch nicht», erwiderte Don Camillo demütig, «man muß aber damit rechnen, daß in vielen Kürbisköpfen die Gedanken nicht schlecht, sondern nur schlecht gelenkt sind, und daß so oft genügt, sie ein wenig zu erschüttern, und schon gelangen die Gedanken gleich an die richtige Stelle.»
Romagnolo erschien bei Peppone im Amt und schien es eilig zu haben.
«Nimm dieses Stempelformular, rufe zwei von deinen Nichtstuern als Zeugen herein und schreibe, was ich dir sage.»
Romagnolo warf das Stempelformular auf den Tisch und setzte sich nieder.
«Also los! Schreib das Datum und dann weiter: Ich, Unterfertigter Libero Martelli, Sohn des Giuseppe Martelli, einundneunzig Jahre alt, von Beruf Freidenker, verfüge im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte und aus freiem Willen, daß nach meinem Ableben mein gesamtes bewegliches und unbewegliches Eigentum dieser Gemeinde übertragen wird, mit der Bedingung, daß diese Gemeinde sofort den Pferdewagen, mit dem bis jetzt die Toten zum Gemeindefriedhof geführt wurden, durch einen entsprechenden Kraftwagen ersetzt...»
Peppone hörte zu schreiben auf.
«Was ist los? Willst du vielleicht, daß ich mein Zeug dem Priester hinterlasse?»
Peppone stotterte. «Nein, nein, ich nehme an, das ist klar. Wie soll ich aber sofort das Leichenauto herbeischaffen? Das kostet doch wenigstens eineinhalb Millionen Lire und wir...»
«Ich habe zwei Millionen auf der Bank. Du kaufst das Auto, und ich bezahle es.»
Romagnolo verließ überaus zufrieden das Gemeindeamt und begab sich zum erstenmal in seinem Leben in den Pfarrhof.
«Hochwürden», schrie Romagnolo. «Das Geschäft ist abgemacht, wenn ich eines Tages im Sarg an Ihrer Kirche vorbeifahre, werden die Pferde nicht stehenbleiben! Ich werde es euch allen zeigen, den Priestern wie den Pferden!»
Romagnolo hatte sich in diesen Tagen zuviel zugemutet. Er hatte auch zuviel getrunken. Nicht daß ihm der Wein geschadet hätte, der Wein tat ihm immer gut. Ihm bekam aber das Wasser schlecht, weil er einmal, als er spät nachts, bis oben voll mit Wein, nach Hause ging, plötzlich schläfrig wurde und sich ganz einfach in den Straßengraben legte. Wenn man über neunzig ist, dann kann einem so eine Nacht im Straßengraben, bis zum Bauch im Wasser, nur schaden. Er holte sich eine Lungenentzündung, die ihn in zwei Tagen zur Strecke brachte. Bevor er die Augen für immer schloß, ließ er Peppone kommen.
«Abgemacht?»
«Abgemacht. Es wird alles nach Ihrem Willen geschehen.»
So benützte Romagnolo als erster das neue Leichenauto, und das ganze Dorf war auf den Beinen, weil überdies die Inbetriebnahme eines Leichenautos ein Ereignis ersten Ranges war.
Das Leichenauto setzte sich, begleitet von den Tönen der Musik, in Bewegung und fuhr langsam, majestätisch und sicher daher.
Jetzt soll es an der Kirche vorbeifahren. Vor der Kirche bleibt aber der Leichenwagen stehen.
Der Fahrer arbeitet wie verrückt mit der Kurbel. Nichts zu machen. Er steigt aus und macht die Motorhaube auf. Alles in Ordnung: die Kerzen, die Zündung, der Vergaser. Der Tank ist voll.
Das Kirchentor ist geschlossen. Don Camillo sieht aber alles durch eine Ritze. Er sieht, wie sich die Leute um das Auto bemühen, das sich nicht rührt.
Die Musik hat zu spielen aufgehört, alles ist still, die Leute stehen herum, als wären sie wieder zu Kindern geworden, und können nur noch schauen. Man hört keine Stimme, kein Geräusch.
So vergehen lange Minuten. Dann besinnt sich Don Camillo und rennt in die Sakristei zu den Glockensträngen.
«Gott vergebe dir...» flüstert Don Camillo außer Atem, während er die Stränge anfaßt. «Gott vergebe dir...»
Das Trauergeläute der Glocken zerreißt die Stille.
Die Leute kommen wieder zu sich, der Fahrer drückt auf den Anlasser, der Motor springt jetzt an und das Leichenauto fährt davon.
Niemand begleitet es mehr. Der Fahrer schaltet den zweiten und dann den dritten Gang ein, und das Auto verschwindet im Staub der Straße, die zum Friedhof
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